7 Fragen an Anna Ott von HV Capital

Wenn jemand weiss, was es bedeutet, gesunde Startup-Organisationen zu führen, dann Anna Ott, VP People und ESG bei HV Capital.

Seit 20 Jahren arbeitet Anna auf allen Seiten – mit Startups, VCs und Acceleratoren. Vor HV Capital war sie bei Lycos, iPotentials, Team Europe und Hub:raum. Für ihre herausragende Arbeit wurde sie vom Capital als Top „40 unter 40“ gewählt.

Ihr großes Ziel: Talent-zentrische Organisationen, in denen alles ineinandergreift: Talentakquise, Performance Management, Führung und Kultur.

So entsteht Growth Leadership!

Um so mehr freue ich mich, Anna meine Leadership-Fragen zu stellen.

Anna, deine Arbeit mit den Gründern bei HV Capital schätze ich sehr. Wie du die ehemals unterschätzen People-Fragen zum strategischen Thema machst – Hut ab.

Vom Macher zum Leader, vom Gründer zum CEO – was ist aus deiner Erfahrung der größte Entwicklungsschritt für die Gründer, die ihr begleitet?

Der wichtigste Schritt auf dem Weg vom Gründer zum CEO ist die Introspektion.

Sich selbst lesen zu lernen oder ganz profan: Eine Bedienungsanleitung für sich selbst zu haben. Ich hatte mal ein schönes Gespräch mit drei Gründern, die sagten: Wir sind zu alt, um nicht mehr an Selbsterkenntnis zu glauben, wir kennen alle unsere Trigger.“ Und ich dachte mir: Das ist Gold.

Denn darum geht es: Dass der Mensch, der den lebensverändernden Schritt wagt, Gründerin oder Gründer zu werden, gleichzeitig beginnt, eine Reise zu sich selbst zu machen. Ich glaube fest daran: Wenn ich weiß, wer ich bin, wo meine Trigger und meine Schattenseiten liegen, dann schaffe ich es, eine Organisation zu bauen, die stark ist.

Stark heißt für uns als Investoren Wachstum und Erfolg. Aber stark heißt auch: Eine gesunde Organisation, die nicht toxisch ist.

Anna Ott

In der die Menschen die Gründerinnen und Gründer gerne auf ihrer anstrengenden, aber schönen Reise begleiten.

Unabdingbar dafür ist es, dass man anfängt, sich selbst lesen zu lernen. Das geht nicht über Nacht, Bücher reichen auch nicht, da braucht es eine langfristige Coaching-Begleitung. Es ist eine persönliche Wachstumsreise.

Es macht unglaublich viel Spaß, mit Gründern zu arbeiten, die das verstehen und hinkriegen. Sie haben eine spürbar andere Qualität. Die überrascht man nicht mit Erkenntnissen über sich selbst. Die sehen sich jeden Tag selbst im Spiegel und wissen, was sie da sehen.

Und das ist ein toller Teil meiner Arbeit: Zu erleben, wenn Menschen anfangen, in Richtung Selbsterkenntnis zu gehen.

Wie früh erkennt ihr das? Du bist ja sicher im Prozess der Investition eingebunden. Wonach schaut ihr da?

Aktuell sind der Investment-Entscheidungsprozess und mein Prozess der Begleitung noch etwas disconnected. Im Investment-Entscheidungsprozess werden viele Faktoren bewertet. Natürlich werden dabei auch die Gründer anschaut. Dabei geht es aber vor um die Passung zwischen den jeweiligen Investment-Kollegen und den Gründerteams. Das ist zentral, denn hier geht es um eine Langfristbeziehung, die stark auf Vertrauen angelegt ist.

Da hat jeder unserer fast 20 Investment-Kollegen seine eigene Signatur. Das muss einfach passen, denn hier startet eine Beziehung, die auf acht bis zehn Jahre angelegt ist. Wenn dieser Fit zwischen Gründer und Investment-Kollege nicht da ist, dann ist es egal, ob ich die Person qualitativ gut finde oder nicht.

Was ich mir aber immer anschaue, ist die Frage: Arbeiten die mit einem Coach? Wer ist der Mentor, wenn sie mal frustriert sind? Wo lassen Sie ihren Druck ab? Wer hält sie accountable? Was ist Ihr soziales Umfeld?

Wenn ich jemanden neu kennenlerne, und er erzählt mir „Ich habe hier einen Coach und da einen Mentor und hier habe schon diese Diagnostik“, dann merke ich: Okay, da muss ich mir keinen Kopf machen. Der ist schon auf der Reise.

Dann gibt es aber auch solche, die eher abwiegeln: „Nee, nee, brauche ich nicht. Alles gut. Läuft. Ich kriege das schon allein hin.“ Dann platziere ich das Thema immer wieder. Oder erzähle von anderen Gründern, die froh sind, dass sie einen Coach haben. Und die erfolgreich sind, weil sie gecoacht wurden.

Das ist kein Allheilmittel, aber ein wichtiger Meilenstein. Natürlich freut es mich, wenn sie dann so ein halbes Jahr später kommen und sagen, „Anna, ich glaube, ich hätte jetzt auch gern einen Coach. Wen könntest du denn da empfehlen?“ Dann merke ich: Jetzt beginnen sie ihre Reise.

Das erlebe ich auch. Ich habe Coachees, die frühzeitig sagen „Ich weiss, dass ich mich selbst verstehen muss, damit ich gut führen und das Unternehmen nach vorne bringen kann.“ Das ist natürlich toll. Aber es gibt auch Gründer, die erstmal gegen ihre persönliche Glasdecke gerauscht sein müssen, bevor sie mit der Selbstentwicklung starten.

Genau.

Und es gibt kein größeres Geschenk, als mitzuerleben, wie sie ihr Potenzial dann entfalten. Manchmal ist es fast ein Aufblühen.

Anna Ott

Die gehen gerader, gestärkter und offener, die haben einen wacheren Blick. Ich würde fast behaupten: Man sieht es, wenn Gründer die Reise der Selbsterkenntnis begonnen haben. Die Art und Weise, wie sie zuhören, wie sie reden, wie sie über Menschen in ihrem Umfeld sprechen.

Natürlich ist es auch einen langsames Kennenlernen. Mit jedem Gespräch, dass wir miteinander führen, kommen wir dem Kern näher. Wo können wir hier helfen? Wo müssen wir dran und wo vielleicht auch nicht? Wo lassen sie es auch zu?

Du hast jetzt viele Leader gesehen. Wessen Führung inspiriert dich und warum? Oder was für eine Art von Führung inspiriert dich?

Auf dieser Frage habe ich etwas rumgekaut. Gibt es den einen inspirierenden Leader? Ich glaube nicht, vielleicht habe ich auch noch zu wenige erlebt. Ich bin ja immer an der Seitenlinie.

In den frühen Phasen von Startups, bei den First Time Leadern, ist die Führungsqualität noch am Anfangslevel. Die meisten wurden ja selber nie geführt. Die schlingern, weil sie erst mal ihren Stil finden müssen. Da passiert dann ganz viel gleichzeitig.

Und dann gibt so ein paar, die sind schon weiter in der Entwicklung. Da ist mehr Reife in der Führung, das sieht man dann auch. Die machen dann oft Sachen, die ich schön finde. Neulich hatten wir einen CEO in einem der größeren Startups, der ein sehr gutes Gespür dafür hat, wie er sehr hochkalibrige Leute für sich gewinnt. Der weiss, dass er bei jedem Menschen den ganz individuellen Trigger finden muss, um sie für sich zu gewinnen.

Letzthin hat er eine CRO für sein Unternehmen geclosed. Eine sehr schwierige Suche, da er sehr anspruchsvoll war. Als er die richtige Person gefunden hatte, hat er alle Hebel in Bewegung gesetzt, um diese Person zu gewinnen. Er ist zu ihr ins Ausland gefahren, hat lange Walking Talks gemacht, alles erzählt, super transparent, authentisch und offen. Sehr viel auch Vertrauen maximiert. Und er hat auch die anderen Stakeholder, in dem Fall die Familie, mit an Bord genommen.

Wir haben so einige Gründer, über die ich tolle Geschichten erzählen könnte. Ich schätze Leader, die sich wirklich für die andere Person interessieren und versuchen, diese Person für sich zu gewinnen, ohne ihnen blühenden Landschaften zu verkaufen. Wenn ab Tag eins das Vertrauen maximiert wird, startet auch die Führungsbeziehung auf einem ganz anderen Level.

Dann entsteht eine Leadership, die auf echter Followership basiert.

„Das ist die Qualität von Followership, an der wir die Gründer messen: Wird denen gefolgt oder verlassen die Ratten sofort das sinkende Schiff, wenn eine wirtschaftlich schwierigere Lage kommt.“

Anna Ott

Ich finde den Satz fantastisch: „Ab Tag eins auf Vertrauen maximiert.“ Denn tatsächlich sehe ich das auch in meiner Arbeit. Am Ende geht es immer darum, echtes Vertrauen aufzubauen.

Du sprachst vorhin von guten Unternehmen, die geschaffen werden sollen. Was macht für dich gute Führung aus?

Im Venture Capital machen wir eine Druckbetankung. Da sind die Erwartungen des Marktes, die Erwartung der Gründer an sich selbst, die Erwartung der Mitarbeiter an den Erfolg, an dem sie Teil haben wollen und so weiter. Wir haben einen Druck auf dem Kessel, der kaum größer sein kann. Die Stärke, nach der ich suche, und die wir an vielen Stellen sehen, ist es, das auszuhalten. In der Lage zu sein, diesen Druck zu regulieren, egal woher er kommt.

Erlebbar wird das in wirtschaftlichen Krisenphasen oder schwierigen Momenten, die wir in den letzten zweieinhalb Jahre gefühlt immer hatten. Wie ist dann der Zusammenhalt der Organisation? Steigt der Turnover? Verlassen die Ratten das sinkende Schiff oder bleiben alle dabei und kämpfen mit?

Es ist auch eine Stärke mal „nein“ zu Projekten und Wachstumschancen sagen zu können, nicht alles mitnehmen zu müssen. Klarheit zu haben: Was ist der Weg, von dem wir nicht abweichen, auf den wir uns gemeinsam einschwören? Worauf fokussieren wir uns? Wichtig sind auch die Klarheit in den Entscheidungen und Art wie Entscheidungsprozesse ablaufen.

Stärke hat für mich ganz viele Faktoren: Die Fähigkeit einer Organisation, durch unvorhersehbare Gewässer zu gehen und den Zusammenhalt auf dem Boot hinzubekommen. Das alle wissen, was ihre Rolle ist, wohin die Reise geht und wie sie auch in verändernden Situationen dieses Schiff gemeinsam steuern und navigieren.

Die letzten zweieinhalb Jahre waren ein guter Lackmustest. Da hat sich gezeigt, wer wirklich navigieren kann. Das hat weder damit zu tun, dass der Markt für die perfekt ist oder dass die Investoren sie besonders unterstützen, sondern dass sie einen Zusammenhalt im Team haben, der es ihnen ermöglicht, durch schwierige Lagen zu gehen.

Wichtiges Thema: Zusammenhalt der Mannschaft. Wenn Startups scheitern, dann zu 65% aufgrund von Gründerkonflikten. Da zeigt es sich, ob das Gründerteam ein echtes Team ist oder nur ein Pseudo-Team, das sich irgendwie die Aufgaben teilt.

„Ja, es macht eine riesen Unterschied, ob das Team rein transaktional ist oder ob es Vertrauen und Ehrlichkeit maximiert.“

Anna Ott

Sprich: Lässt man auch mal Befindlichkeiten zu, oder will man einfach nur performen und alle sind entweder AAA+ Player oder Underperformer. Performance spielt immer eine große Rolle, das ist der Antrieb für alle. Es ist die Tonalität, die den Unterschied macht.

In der Tat. Gute Unternehmen schaffen eine Balance zwischen Performance und People Orientierung. Eine reine Performance Orientierung ist gefährlich, da ist der Mensch nur ein Rädchen in der Maschine. Bei einer reinen People Orientierung fehlt oft der Drang nach vorne. Die richtig guten Leute suchen nach der Balance. Als Mensch gesehen werden und Performance bringen. Aber dieser Mittelweg ist nicht trivial.

Ja, und der Schlüssel dazu ist das richtige Maß der Kontrolle. Performance ist schwierig, wenn sie mit zu viel Kontrolle gemischt wird. Und nicht kontrollieren ist auch schwierig, da fehlt die Führung. Wenn ich die Leute einfach so machen lasse, dann gebe ich zwar viel Freiraum, aber da passiert das auch nicht so richtig viel.

„Startups müssen die richtige Balance von Performance, Kontrolle und Vertrauen entwickeln.“

Anna Ott

Das geht nicht über Nacht. Über die Zeit müssen sie ihr Menschenbild so drehen, dass sie sagen: Ich muss die Leute nicht kontrollieren, ich kann ihnen vertrauen. Ich möchte ihnen vertrauen und gebe ihnen Vorvertrauen. Auf die Gefahr hin, dass ich Misstrauen bekomme, versuche ich, die Leute an den Stellen zu platzieren, wo sie ihr Potenzial entfalten, und wo sie zusammen mit mir Ownership am ganzen Schiff und an der gemeinsamen Reise haben.

Und dann erlaube ich es mir, loszulassen. Loslassen ist sicher auch das große Motiv deiner Arbeit, oder? Der Weg von: Ich kontrolliere alles, ich weiß alles, ich besitze jede Information, zu: Es wird jeden Tag ein bisschen weniger. Die Balance von Nähe und Distanz. Zu Menschen, zu Entscheidungen, zu Dingen, die passieren, Projekten. Das ist eine mühsame, schmerzhafte Reise. Ich bewundere die Menschen, die das hinkriegen.

Das interessante an dieser Reise ist: Die Kontrolle bleibt immer da. Sie wird nur anders ausgeübt. Es ist der Weg von der persönlichen Kontrolle, dem „Ich habe das im Griff.“, hin zu, „Ich schaffe Strukturen.“ Ich institutionalisiere meine persönliche Kontrolle über klare Ziele, eine starke Kultur und klare Rollen.

Ja, genau darum geht es: Das System löst die individuelle Kontrolle ab.

Du sagtest vorhin schon: Es sind schwierige Zeiten. Ihr stellt ja gerade sicher, dass alle eure Startups wetterfest für die nächsten anderthalb, zwei Jahre werden. Wie gehst du mit solchen Zeiten um?

Investoren schalten in diesen Zeiten den Modus um. Für uns waren die letzten zwei Jahre super anstrengend, weil der Markt so überhitzt war und wir schnell handeln mussten. Gefühlt sind wir immer allem hinterhergerannt und das fühlt sich nie gut an. Wo man so denkt, ist das alles wirklich so heiß gekocht?

Jetzt es ist nicht mehr so heiß, vielleicht sogar ein bisschen frisch. Aber das sind die Phasen, wo ich, aber auch viele von meinen Investment Kollegen, wieder näher an die Unternehmen rücken. Näher an den Gründern sein, näher an den Teams, mehr Zeit mit ihnen verbringen und schauen, wie wir ihnen helfen können.

Die meisten sind aufgrund der letzten zweieinhalb Jahre schon relativ wetterfest. Ein paar Organisationen sind natürlich zu jung, um das schon durchgelebt zu haben. Aber wir können auf sehr viel Erfahrung aus 22 Jahren zurückgreifen.

In den letzten zwei Jahre waren es viele neue Beziehungen. Da kam gefühlt jede Woche ein neues Team ins Portfolio. Jetzt, wo es bei uns und im Markt ein bisschen ruhiger geworden ist, nehmen wir uns die Zeit, wieder an der Beziehungstiefe zu arbeiten. Jetzt stärken wir die Leute, die wir schon haben.

Wie gehst du selbst mit schwierigen Zeiten um? Wie bleibst du in der Energie? 

Wo kriege ich Energie her? Ehrlich gesagt, die letzten zweieinhalb Jahre waren auch für Menschen wie mich total anstrengend. Ich lebe von der Nähe zu Menschen. Ironischerweise hatte ich zuletzt eher zu viele neue Menschen. Aber nur virtuell, und nicht mit der Beziehungsqualität, die mir eigentlich wichtig ist.

Jetzt geht es wieder in die richtige Richtung. Ich blühe gerade auf. Ich kriege meine Energie durch lange, gute und ruhige Gespräche mit Menschen, die ich auch persönlich sehen kann. Das passiert jetzt immer mehr, und das ist sehr gut für mich.

Ich habe jetzt wieder Zeit, mit den Startups Workshops zu machen. Wir treffen uns persönlich, ich hole meine Post-its wieder raus und staube meine Time Timer ab. Das habe ich die letzten Monate schon gemacht. Ich liebe Momente, wo ich mit anderen in einem Raum bin und unstrukturiert an spannenden Themen arbeite. Für mich waren die letzten zwei Jahre anstrengend, weil ich über Zoom keine Brainstormings machen kann. Jetzt haben wir alle Bock uns zusammenzusetzen und gemeinsam laut zu denken. Ich kann das einfach besser in Person.

Dafür hatte ich die letzten zweieinhalb Jahre sehr viel Zeit zum Lesen. Jetzt freue mich darauf, dass ich rausgehen und das Wissen teilen kann. Und das wir ein paar Sachen davon wirklich umsetzen. Diversity hattest du schon angesprochen. Das ist ein Riesenthema bei uns. ESG grundsätzlich. Da ist noch ganz viel zu erarbeiten, gemeinsam mit unserem Startup Portfolio und dem Ökosystem. Dafür haben jetzt, wo es etwas weniger wild ist, die Zeit. Jetzt können wir uns mal in Ruhe hinsetzen und überlegen, wie wir diese Probleme lösen können.

Was hast du zuletzt gelesen? Was empfiehlst du Gründern?

Ich könnte dir 1.000 Bücher sagen. Aber es gibt zwei Bücher, die ich Gründern am häufigsten empfehle und auch schenke. Wenn es eine Gründerbibliothek gäbe, müssten sie auf jeden Fall drinnen sein:

„How To Get Your Act Together: A Judgement-Free Guide to Diversity and Inclusion for Straight White Men” von Suki Sandhu und Felicity Hassan.

“Do Purpose: Why brands with a purpose do better and matter more” von David Hieatt.

Das erste ist ein wirklich gutes Buch zum Thema Diversity und Inklusion. In diesem Buch stehen alle Antworten auf die Frage, wie man Diversity leben kann. Und es ist schön geschrieben. Das zweite Buch auch ist sehr inspirierend. Von der Do Library habe ich glaube ich fast alle. Auch das Buch „Do Lead“ ist sehr gut.

Tatsächlich bringe ich dieses Startup-Bundle immer wieder neuen Gründern mit. Das sind ja Hosentaschenbücher. Die kannst du wirklich sehr schnell lesen.

Dein Buch „Vom Gründer zum CEO“ habe ich auch schon 10.000 mal empfohlen und diverse Startups haben es auch schon gelesen.

Kommen wir zur letzten Frage: Welchen Rat würdest du einem First Time Leader geben?

Coaching.

„Mein Rat an First Time Leader: Trau dich, die Reise nach innen zu machen.“

Anna Ott

Da schließt sich der Kreis zu meinem ersten Satz, zur Introspektion. Ich finde es gut, im Laufe seines Lebens mehr über sich selbst zu erfahren.

Ich bin jetzt 40 und ich habe das Gefühl, ich weiß immer noch nicht alles. Dabei habe ich aufgrund meiner Profession bestimmt schon vor 20 Jahren angefangen, jeden Diagnostik-Test, den ich kriegen kann, zu machen. Ich hatte Coaching-Stunden und weiß ich nicht alles.

Für mich gibt es keinen schöneren Aha-Moment, als wenn jemand die Sprache findet, um seine eigenen Trigger zu beschreiben. Tatsächlich geht es ganz viel um Sprache. Dass man Worte findet, sich zu beschreiben. Es gibt ein weiteres Buch, das ich sehr schön finde: „Atlas of the Heart“ von Brene Brown. Ein Lexikon über Emotionen.

Ich bin so obsessed damit, weil ich denke, oft geht es einfach nur darum, die Worte finde, die beschreiben, was in mir vorgeht. Und es gibt verschiedene Wege, da hinzukommen. Bücher lesen ist einer. Coaching hilft auch sehr, die Sprache zu finden, mit der ich meine Gefühle artikulieren kann. Aus verschiedenen Studien wissen wir: Wenn ich das richtige Wort für meine Gefühle finde, habe ich schon den ersten Moment der Selbsterkenntnis.

Dann kann ich sagen: Ich bin jetzt frustriert oder ich bin jetzt wütend oder ich bin jetzt gereizt. Wenn ich das granularer und granularer beschreiben kann als vorher, dann habe ich schon den ersten Schlüssel gefunden, um mich selbst zu regulieren, aber auch um das zu kommunizieren und es zu lösen.

Das ist der Tipp, den ich First Time Leadern gebe: Erweitere die Klaviatur der Sprache über dich selbst und lerne dich verstehen. Was auch immer der individuelle Weg ist. Ob Meditation, Yoga oder Retreats in Bali – I don’t know. No judgement. Finde die Sprache. Denn wenn die Menschen ihren Gemütszustand nur mit drei Worten beschreiben können; von: Mir geht es gut. Mir geht es geht so. bis: Mir geht es schlecht, dann weiß ich, da ist noch viel möglich.

Da ist viel möglich. Tolles Thema. Was ein ganz wunderbares Gespräch!

Danke Anna für deine Impulse. Gerade für Gründer ist es so wichtig zu verstehen, wie sie sich und ihre Unternehmen zum Blühen bringen können.

7 Fragen an Aimie-Sarah Carstensen von ArtNight

Aimie-Sarah Carstensen hat 2016 ArtNight gegründet.

ArtNight ist ein echtes Herzensprojekt. Getrieben von der Vision, Menschen dazu zu inspirieren, ihre tägliche Routine zu durchbrechen und ihren kreativen Flow zu erleben – für mehr Glück und Lebensfreude im Alltag. In der Coronazeit dann auch im virtuellen Raum, aber nicht weniger kreativ.

Kreative Schaffenskraft ist einer meiner wichtigsten Werte. Und genau das lebt Aimie: In ihrem Leben dreht sich alles um Unternehmertum, persönliche Weiterentwicklung, Leadership und Kreativität. Growth Leadership at it’s best!

Um so mehr freue ich mich, Aimie meine 7 Leadership-Fragen zu stellen.

Danke Aimie, dass du dir die Zeit für die sieben Leadership-Fragen nimmst. Ich freue mich ganz besonders darauf, mit dir zu sprechen: Ich bewundere deine Arbeit, ein wirklich kreatives Unternehmen aufzubauen, und erlebe dich als eine Führungskraft, die eine große innere Freiheit gewonnen hat.

Meine erste Frage: Vom Macher zum Leader, was war dein größter Entwicklungsschritt?

Mein erster richtig großer Entwicklungsschritt war es, zu lernen loszulassen und nicht alles selbst machen zu müssen. Nicht alles immer kontrollieren zu wollen, sondern mich darauf zu konzentrieren, wie ich ein gutes Team aufbauen und die Stärken von jedem Einzelnen gut nutzen kann.

Ich sage immer: Die Richtung vorgeben und die Leitplanken setzen. Leitplanken setzen heißt nicht, jeden einzelnen Schritt wie ein Kontrolletti zu kontrollieren. Sondern ein Ziel zu geben, dass sehr klar ist.

Ziel und Leitplanken und dann ist der Weg klar. Wunderbares Bild. Spricht mir sehr aus dem Herzen. Als du dich selbst auf den Weg begeben hast, hattest du da Menschen, die dich inspiriert haben? Was genau hat dich da inspiriert?

Ich habe keine klassischen Vorbilder, sondern ich beobachte sehr gerne.

Ich war schon sehr jung Führungskraft, mit 24 bekam ich mein erstes Team. Schon da habe ich immer sehr viel beobachtet. Wie machen es andere? Wie gehen andere in der Situation mit gewissen Themen um? Dabei habe ich auch viele Negativbeispiele erlebt, wo ich immer dachte, nee, so will ich das nicht machen.

Und ich habe immer versucht, meine Beobachtungen mit meinen eigenen Werten und meiner eigenen Persönlichkeit zusammenzubringen. Und dabei überlegt: Hey, das fand ich cool, das fand ich irgendwie nicht so gut, wie würde ich in gewissen Situationen damit umgehen. Das war für mein persönliches Wachstum extrem hilfreich. Immer offen zu sein für Learnings, immer zu beobachten, mich selbst und andere, und daraus kontinuierlich zu lernen.

„Für mich ist Führung – also mich selbst zu führen und auch andere zu führen – wie ein Muskel, den man trainiert.“

Aimie-Sarah Carstensen

Das gilt auch für die schwierigen Situationen. Die erste Kündigung, die man aussprechen muss: Horror! Egal, wie gut du dich vorbereitest. So schlimm es sich anhört, aber man trainiert mit der Zeit, wie man selbst damit umgeht, wie andere damit umgehen, wie man auch das Gegenüber gut abholt. Das immer wieder zu üben und offen dafür zu sein, das hilft in der Entwicklung.

Und das macht auch die Führungskräfte aus, die ich bewundere: Menschen, die immer offen sind für Learnings, die permanent versuchen sich weiterzuentwickeln und aus Situationen zu lernen.

Guter Punkt. Ein Wachstums-Mindset ist eine der vier zentralen Eigenschaften von Growth Leadern. Wenn das Team wächst und du wächst nicht mit, dann hast du als Leader schlechte Karten. Das funktioniert einfach nicht.

Was ist deine Führungsvision? Was möchtest du schaffen?

Vier Werte sind mir sehr wichtig: Freiheit, Mut, Neugier und Mitgefühl. Das alles miteinander zu verbinden und immer wieder ein Check-in mit mir selbst zu machen.

Wie führe ich mich selbst? Damit fängt alles an. Wenn ich selbst unzufrieden und nicht richtig auf der Spur bin, dann kann ich keine gute Führungskraft sein.

Wenn ich nicht sortiert bin und mir das Ziel nicht klar ist, kann ich das auch meinem Team nicht richtig vorgeben.

Also immer wieder bei mir selbst anzufangen. Wenn etwas schiefgeht oder man sich aufregt, sage ich meinem Team: Du kannst nur dich selbst ändern, also fange genau da an.

Und dann radikal wertebasiert, Mindset-fokussiert zu arbeiten. Ein paar Sachen machen mich ganz fuchsig. Wenn man hinter dem Rücken über jemanden spricht und nicht direkt. Wenn man den Elefanten im Raum nicht anspricht, sondern drum herumredet. Ich sage dann immer: „State the obvious promptly“ – ein wunderschöner Satz!

Meine Führungsvision? Ich habe keine feste Vision, es ist eine kontinuierliche Entwicklung, ein ständiges Verbessern der Kommunikation und eine kontinuierliche Verbesserung der Zusammenarbeit mit verschiedenen Menschen.

Aimie-Sarah Carstensen

Und sich auch immer zu überlegen: In welchem Status ist das Unternehmen jetzt. Wenn man im Krisenmodus ist, braucht es viel mehr und engere Führung, engere Leitplanken. Wenn es supergut läuft und alle total motiviert sind, die Vision sehr klar ist, sind die Leitplanken breiter, man gibt wieder mehr Freiheiten und arbeitet auch selbst freier.

Und da sehr flexibel zu bleiben. Das ist der Schlüssel: Viele Learnings zu machen, flexibel zu bleiben und sich kontinuierlich der Situation anzupassen.

Du sprachst von den engeren Leitplanken in der Krise. Tatsächlich hat es euch in der Coronazeit ja Hardcore getroffen. Vor allem am Anfang. Ihr seid dann sehr kreativ damit umgegangen. Wirklich fantastisch, was ihr da geschafft habt. Aber was hat dich durch die schlimmsten Zeiten gebracht?

Ich stehe jeden Morgen auf und versuche einfach, mein Bestes zu geben.

Früher dachte ich regelmäßig: „Oh, das hätte ich noch besser machen können“ oder „Warum habe ich jetzt die Entscheidung getroffen und nicht eine andere?“

Das war nicht hilfreich. Irgendwann habe ich dann entschieden: Ich gebe einfach jeden Tag mein Bestes und das Beste ist gut genug. Das Beste ist jeden Tag anders. Je nachdem, wie viel Energie ich habe oder was mich im Moment gerade beschäftigt. Mehr kann ich dann an dem Tag nicht tun, das reicht. Diese Haltung hat mich sehr gut durch die Krise gebracht.

Ein Riesen-Learning war es auch, Flexibilität in der Führung zu gewinnen. Ich musste verstehen, dass in diesen Krisenzeiten oder auch jetzt mit meinem Management Team, eine ganz andere Rolle von mir erwartet wird, als ich sie davor hatte.

Vor der Krise haben viele Teammitglieder nach Empowerment gerufen, nach Freiheit und eigener Entscheidungsgewalt. Keiner sollte mitbestimmen.

In der Krise war das plötzlich ganz anders: Jetzt sollte ich die Entscheidungen treffen, ich sollte sehr dominant führen und sagen, wir laufen jetzt da lang und nicht da lang. Denn im Endeffekt nehmen nur wenige Menschen gerne ein Risiko auf sich.

Es war also eine ganz neue Rolle und anderer Führungsstil, der von mir verlangt wurde. Anfangs dachte ich: Das kann doch nicht sein, dass ich jetzt so bossy sein soll. Kann ich aber. Auf meine Art und Weise.

Das hat mir extrem geholfen: Zu verstehen, in welcher Unternehmensphase welche Art von Führung von mir verlangt wird. Und explizit danach zu fragen. Wie oft haben wir ein Bild davon im Kopf, wie wir sein sollten. Ich habe dann einfach nachgefragt: Was erwartet ihr in dieser Situation von mir? So, und dann habe ich die knallharte Antwort bekommen und wusste ganz genau, was zu tun ist.

Ich finde deine Erfahrung unglaublich spannend. Es zeigt, wie wichtig psychologische Sicherheit für das Team ist. Wenn es gut läuft, ist die Grundsicherheit im Team groß. Dann werden Freiräume geschätzt. Wenn die Grundsicherheit aber gering ist, wie in der Coronakrise, dann musst du als Leader diese fehlende Sicherheit kompensieren.

Sich klar zu sein: Als gute Führungskraft bin ich ein Secure Leader. Und die Sicherheit, die ich geben muss, hängt von den Umfeldfaktoren ab. Du hast das fantastisch beschrieben. Ich glaube, das sollten sich Führungskräfte noch viel klarer machen.

Absolut! Gleichzeitig, nicht zu glauben, dass man das alles selbst definieren muss. Für mich war es eine totale Erleichterung, einfach nachzufragen, was meine Teammitglieder von mir erwarten. Aber wie oft fragt man wirklich: „Was erwartet ihr jetzt von mir in dieser Situation?“ Oft hat man Schiss, was dann als Antwort kommt. Denn das muss man ja dann auch abliefern. 

Aber es ist erstaunlich, wie oft ich in der Vergangenheit, was ganz anderes im Kopf hatte als das, was dann wirklich erwartet wurde. Diese Klarheit zu schaffen gibt so viel Frieden. Dann ist das einfach geklärt und steht nicht im Raum.

Das zu fragen finde ich super. Bei unseren Kunden tun wir das ja auch. Da fragen wir regelmäßig: Was wollt ihr eigentlich? Als Gründer hat man aber zwei Gruppen von Kunden. Die da draußen, aber auch die Kollegen, die genauso Kunden von einem sind und die man auch nach ihren Bedürfnissen fragen sollte. Das bringt einen wirklich weiter!

Kommen wir zur nächsten Frage: Du strahlst eine unglaubliche Energie aus. Was gibt dir diese Energie?

Ich mache mir schon immer viel Gedanken darüber, was mir Energie gibt und was mich Energie kostet. Und ich versuche, viele Energiekiller aus meinem Leben zu verbannen.

Wie schon gesagt: Wenn man etwas verändern will, muss man immer bei sich selbst anfangen. Und das dann verändern.

Ich brauche beispielsweise viel Schlaf. Mindestens sieben, siebeneinhalb Stunden. Ich halte schon mal mehrere Tage mit weniger Schlaf durch, merke dann aber, dass ich eine niedrige Grundenergie habe. Da steuere ich bewusst dagegen. Ich gehe früher aus dem Büro oder ich lasse Veranstaltungen aus. Vor allem, wenn ich genau weiß, dass ich eine anstrengende Woche vor mir habe, in der ich viel Energie brauche. Sich dessen sehr bewusst zu sein – das hilft.

Ein weiterer Hebel ist der Umgang mit Zeit. Wie oft sagen wir: Ich habe keine Zeit. Das stimmt aber nicht, wir nehmen uns keine Zeit. „Ich habe keine Zeit!“ habe ich aus meinem Wortschatz verbannt. Stattdessen sage ich: „Dafür will ich mir keine Zeit nehmen“ oder „Dafür nehme ich mir gerne Zeit“. Das ist ein kompletter Mindset Shift.

Zeit passiert mir nicht. Ich treffe eine aktive Entscheidung, mir für etwas Zeit zu nehmen und ich bin mir dann auch darüber bewusst, dass ich mir für andere Themen keine Zeit nehme. Damit aktiv umzugehen, hilft mir sehr, meinen Energiehaushalt zu managen.

Aimie-Sarah Carstensen

Schließlich liebe ich das, was ich tue. Ich gehe darin total auf, habe eine riesige Leidenschaft dafür und das gibt mir per se sehr viel Energie. Eigentlich habe ich immer viel Energie, schon beim Aufwachen. Für mich ist jeder Tag ein Geschenk, jeder Tag bietet die Möglichkeit, etwas zu verändern. Ich nutze mein Leben und meine Energie – wofür, das ist natürlich auch immer ganz unterschiedlich.

Ich hatte Phasen, in denen ich alles Mögliche probiert habe, vom 5am-Club bis zur Produktivitätsoptimierung. Heute glaube ich, man muss einfach nur auf sich selbst hören: Was tut mir gut, was nicht? Worauf habe ich jetzt Lust, worauf nicht? Und sich dann die Freiheit nehmen, danach zu agieren. Wenn ich merke, heute ist ein Tag, an dem ich mich nur im Bett vergraben will, dann muss ich mich an diesem Tag nicht durch alles durchboxen und es im Zweifelsfall doppelt machen. Dann akzeptiere ich das. OK, heute ist halt so ein Tag. Dann ist es halt so.

Das Gute: Und du hast es in der Hand. Selbst wenn du das Gefühl hast, andere saugen Energie von dir, dann sind es eigentlich nicht die anderen, sondern du lässt es zu. Sich dieser Möglichkeit der Selbstbestimmung bewusst zu sein und dementsprechend zu agieren, das gibt mir Energie.

Ja, super. Was ist denn das letzte gute Buch, was du gelesen hast?

Das ist „The Effektive Exekutive“ von Peter Drucker? Ein faszinierendes Führungs-Buch. Auch da geht es ganz viel um Selbstführung.

Dass man sich überlegt: Wie kann ich sinnlose Aktivitäten aus meinem Leben verbannen? Solche, die einfach nur die Zeit töten. Wie kann ich mich in der Arbeit auf meine Stärken konzentrieren, wie werde ich effektiv, in dem ich meine Stärken gut einsetze? Wie schaffe ich ein effektives Team, das gut mit mir zusammenarbeitet? Und wie entwickle ich mich kontinuierlich weiter, wie lerne ich?

Ein sehr, sehr schönes Buch mit auch sehr vielen pragmatisch guten Tipps darin. Für ein relativ altes Buch (Anmerkung: 1. Auflage in 1967) ist es ganz schön aktuell. Interessant, dass bei uns Menschen eigentlich immer wieder die gleichen Themen aufpoppen.

Und dass wir immer noch nicht verstanden haben, dass sich Produktivität nicht unbedingt an Zeit oder langen Arbeitstagen misst. Wie oft sprechen wir davon, effizient zu arbeiten. Aber was heißt das eigentlich? Und was heißt es, effektiv zu arbeiten? Eben nicht nur meine Zeit optimal einzusetzen, sondern uns an den richtigen Ergebnissen zu messen. Das fand ich ganz, ganz hervorragend.

Super, danke für den Tipp. Ich habe es auch schon gelesen und finde es großartig. Zum Abschluss: Welchen Rat würdest du einem First Time Leader geben?

Seinen eigenen Werten treu zu bleiben und authentisch zu bleiben.

Wenn Dinge echt schiefgelaufen sind, in meinen Teams oder unternehmerisch, dann hatte das meistens die Ursache, dass ich das Gefühl hatte, ich muss jetzt eine andere Rolle spielen oder dass ich andere nachgemacht habe.

Das führt dann manchmal dazu, dass man Menschen nicht gut behandelt, dass man Fehlentscheidungen trifft und dass man sich selbst ein bisschen verliert.

Ich glaube, ich bin dann die beste Führungskraft, wenn ich bei mir selber bleibe und meinen Werten treu bin. Dafür muss man sich intensiv Gedanken machen: Was ist mir wichtig, was akzeptiere ich, was akzeptiere ich nicht?

Es gibt immer wieder Unternehmer, die haben eine „Manager on one page“, auf der die zusammenfassen: Was ist mir wichtig? Wie ticke ich? Wie agiere ich? Warum tue ich das so? Ich arbeite auch gerade daran.

Sich seiner selbst bewusst zu werden, authentisch zu sein und seinen Werten treu zu bleiben. Das ist mein großer Tipp and First Time Leader.

Aimie-Sarah Carstensen

Wow, großartig. Kann ich nur so unterschreiben. Toller Ratschlag. Genau da zu starten: Wer bin ich eigentlich? Was ist mir wichtig?

Aimie, vielen, vielen Dank für dieses inspirierende Gespräch, denn da kommt wunderbar durch, wie ich dich erlebe! Vielen, vielen Dank.

7 Fragen an Arkadi Jampolski von Wunderflats

Arkadi Jampolski hat Wunderflats 2015 gemeinsam mit Jan Hase gegründet.

Die Quintessenz von Wunderflats: Heimat schaffen, auch für Menschen, die nur temporär ein neues Zuhause suchen. Der Unternehmenszweck von Wunderflats basiert auf einer tiefen persönlichen Erfahrung. Beide Gründer haben erlebt, was es bedeutet, in schwierigen Zeiten eine echte Heimat zu finden.

Eine Heimat bietet Wunderflats nicht nur für die Nutzer der Plattform, sondern auch für das Team, das inzwischen aus 160 Mitarbeitern besteht.

Ich habe das Wunderflats-Management in gemeinsamen Workshops erlebt und war tief beeindruckt von der Kultur der Offenheit, des Respekts und des Miteinanders. Arkadi und Jan sind für mich echte Growth Leader!

Um so mehr freue ich mich, mit Arkadi in die „7 Fragen an“-Interviews zu starten.

Arkadi, was war für dich der größte Entwicklungsschritt auf dem Weg vom Gründer zum COO?

Der größte Entwicklungsschritt? Bescheidenheit im Kontext von Führung neu zu kultivieren.

Als Macher, ganz am Anfang von Wunderflats, war ich bescheiden gegenüber unseren Kunden. Wir haben ihnen Leistungen angeboten, aber nicht angenommen zu wissen, was sie wollen. Ich habe das Feedback bekommen, ob sie die Kaufentscheidung positiv oder negativ treffen. Auf Basis dieses Feedbacks konnten wir die Firma entwickeln und ein gutes Geschäftsmodell finden.

Jetzt beim Führen ist es wichtig, dass ich die neuen unternehmerischen Herausforderungen bescheiden angehe. Die Herausforderungen werden ja nicht weniger. Je erfolgreicher eine Firma ist, desto größer die Chancen und Herausforderungen.

Dabei ist es entscheidend immer einen kühlen bescheidenen Kopf zu bewahren. Bei Erfolgen und Misserfolgen. Sich klar zu sein: Ich bin verantwortlich für einige Chancen der Firma. Meine Kollegen sind für andere Chancen der Firma verantwortlich. Es gibt Überlappungen, alles ist in Bewegung, alles okay. Aber dieses bescheidene Teamwork, wo alle unterschiedlichen Teile der Verantwortung tragen, ist das Allerwichtigste.

Sprich, deine Vision ist ein Team of Teams und ihr seht euch als Leader of Leaders, statt alles alleine zu treiben. Super!

Gibt es in der Entwicklung deines Führungsansatzes Menschen, die dich inspiriert und weitergebracht haben?

Ja. Ich lese viele Bücher. Das Lesen der klugen inspirierenden Sätze ist super, es hebt auch noch meine Laune, aber es ist nur ein Beitrag für meine Entwicklung.

Viel weiter bringt mich das Beobachten von Führungspersonen, die ich direkt erleben darf. Daher sind die Leute, auf die ich am meisten schaue, die Menschen, die ich wirklich erlebe.

Da ist zum Beispiel mein Mitgründer Jan Hase, der einen wirklich radikalen Fokus auf die Sache hat und einen sehr hohen Anspruch an der Sache, was ich sehr genieße und inspirierend finde.

Wer mein Denken auch sehr prägt, ist unser CFO André, der außergewöhnlich ausgeglichen ist. Er ist zielstrebig, seltenst echt gestresst, emotional intelligent und rational. Er ist echt direkt und sowohl ein super Zuhörer, als auch ein super Erzähler.

Extrema funktionieren im Leben und im Arbeitsumfeld sehr selten. Wichtig sind Ausgeglichenheit und Balance, sowohl zwischen den Lebensbereichen als auch in jedem einzelnen Lebensbereich und in vielen Skills.

Arkadi Jampolski

Das ist in der Tat inspirierend. Tatsächlich ist gute Führung ohne Energie und Balance eigentlich nicht möglich. Das führt mich zur nächsten Frage:

Wie schaffst du es, in deiner Energie zu bleiben?

Was mir dabei hilft ist Wandern, seit neuestem auch Radfahren, Kiten, Sport draußen, Meditation jeglicher Form. Vieles läuft da unter dem Titel Detox Tätigkeiten. 

Auch das Coaching hilft mir sehr, sowohl mit Coach als auch mit anderen Unternehmern.

Ein Thema, das oft unterschätzt wird, ist die Beziehungspflege im Führungsteam. Mein Mitgründer Jan und ich, aber auch unser ganzes C-Level, nehmen uns sehr regelmäßig Zeit, um eine gute Teambeziehung zu entwickeln.

Arkadi Jampolski

Jan und ich haben seit der Gründung jede Woche eine „Tea Time“. Einen extra Slot, in dem wir über Dinge sprechen, die im Daily Business zu kurz gekommen sind. Diese Tea Time ist selten ausgefallen. Sie ist ein Schlüssel zum Erfolg von Wunderflats und hat mir sehr geholfen, in meiner Energie zu bleiben.

Großartig zu hören! Ich habe ja auch erlebt, wie gut ihr zusammenspielt. Leider erlebe ich immer wieder Gründerteams, die sich eben nicht die Zeit zur Beziehungspflege nehmen. Da wird es dann ganz schnell schwierig. Ich finde es großartig, dass ihr es so lebt und dass du das auch so nach außen trägst.

Kommen wir zur vierten Frage. Führung ist nicht immer leicht: Was bringt dich durch die schlimmsten Zeiten?

Unser Firmenzweck bringt mich durch die schwierigen Zeiten. Es ist der Sinn, warum ich es mache.

Wichtig ist natürlich auch das WIE: Das Pflegen der Beziehungen, wie wir die Firma aufbauen und die Prioritäten, die wir setzen. Es gehört zu unseren Werten, dass uns das wichtig ist.

Aber durch die allerhärtesten Zeiten bringt uns unser Firmenzweck, der sowohl mich als auch meinen Mitgründer dazu bewegt, die Herausforderung anzugehen, die Chancen zu ergreifen, auch wenn es echt manchmal schwer ist.

Arkadi Jampolski

Super. Es ist in der Tat oft der Sinn unserer Unternehmen, der uns weiterbringt, auch wenn es im Team knirscht. Und der sich eben oft auch aus unserer persönlichen Biographie ergibt.

Du sagtest vorhin, du liest viel. Was ist das letzte gute Buch, das du gelesen hast und gerne empfehlen würdest?

Ein sehr gutes Buch, was ich gerade zu Ende gelesen habe, ist „Die Kunst des Liebens“ von Erich Fromm. Vielleicht kein Business Buch. Doch darin geht es um weit mehr als die romantische Liebe, wie man vielleicht auf den ersten Blick denkt.

Das Buch handelt von dem Verhältnis zu sich selbst und auch von der Liebe zur Arbeit, der Liebe zum Erschaffen und zum Wirken in der Welt. Und das finde ich sehr, sehr hilfreich. Sehr anregend, sehr inspirierend.

Auf Basis deiner Erfahrung: Was für einen Rat würdest du einem First Time Leader oder einem jungen Gründer geben?

Ich würde sagen: Herausforderungen sind anstrengend und wer glücklich sein möchte, muss auch riskieren, sehr traurig zu sein. Das eine geht nicht ohne das andere.

Bei einer engen Freundschaft machen wir uns verletzlich. Wir sind dann sehr glücklich, riskieren aber auch, stark verletzt zu werden.

Das lässt sich auch gut auf die Arbeit übertragen. Wenn du besonders viel lernen und wachsen möchtest, wenn du wirklich viel bewirken möchtest, wirst du sicher auch in gleichem Umfang Stress empfinden und vor scheinbar unlösbaren Problemen stehen.

Das ist der Moment, in dem ich empfehlen würde, an dein eigenes Potenzial zu denken. Und dein Potenzial zu nutzen: Chancen ergreifen oder Herausforderungen und Probleme lösen. Das, was in dem Moment wirklich geht.

Und eben nicht in die mentale Verteidigungshaltung zu gehen vor Problemen und Herausforderungen. Denn das ist es, warum du die Chance ergriffen hast, zu gründen oder eine Führungskraft zu werden, statt als Individual Contributor neue Herausforderungen anzugehen.

Es geht um das Potenzial, was in dir ist. Und das geht nur in diesem Spannungsfeld zwischen: Ich lasse mich auf die höchste Glücksekstase ein, und ich lasse ich mich gleichzeitig auch auf wirklich harte Zeiten ein.

Das gehört eben dazu. Die eigene Haltung kannst du stärken und gesünder leben, wenn du an dieses Potenzial denkst, und worauf du dich eingelassen hast.

Wow. Fantastischer Ratschlag. Das eigene Potenzial zu nutzen, aber auch zu akzeptieren, was ist. Sich klar zu sein: Es gibt Hochzeiten und es gibt Tiefzeiten. Sich nicht dagegen zu wehren, sondern da zu bleiben und weiter auf den Zweck hinzuarbeiten.

Das ist wirklich inspirierend!

Gibt es noch irgendwas, was du zum Abschluss gerne rüber rufen würdest.

Ja, und zwar vor allem an diejenigen, die an ähnlichen Themen arbeiten wie ich. Die probieren, Organisationen zu stärken umzubauen und weiterzuentwickeln.

Wir sind gerade 160 im Team. Wenn Wunderflats mal 1.000 und mehr Menschen im Team hat, möchte ich, dass wir ein dynamisches, kompetentes und organisiertes Netzwerk sind.

Alle unsere 160 Kollegen wollen einen Beitrag dazu leisten, dass mehr Menschen bei ihrer Lebensgeschichte mehr Möglichkeiten haben. Wohnen, das Thema unserer Firma, steht bisher noch oft im Weg der Möglichkeiten, die eigene Lebensgeschichte zu schreiben. Wir wollen, dass Wohnen die Lebensgeschichte fördert und mehr ermöglicht. So war es auch bei mir persönlich. Ich habe das meinen Eltern zu verdanken. Umzug in andere Länder, neue Möglichkeiten und neue Orte.

Wenn wir als Organisation probieren, etwas Großes zu verändern, müssen wir uns darauf einlassen, wie die Welt ist. Die Welt wird immer dynamischer, vernetzter und komplexer. Und in dieser Welt schaffen nicht unbedingt besonders große Firmen eine besonders große Verbesserung, sondern die besonders dynamischen, agilen und kompetenten Firmen und Organisationen.

Die Leute, die dann was verändern wollen, müssen sehr schnell und dynamisch reagieren. Als der Ukraine-Krieg begann, haben wir die Firma innerhalb von Tagen umgestellt und haben alles, was wir machen, kostenlos für die Geflüchteten aus der Ukraine angeboten. Damit konnten wir mehr als 15.000 Menschen helfen, eine Unterkunft zu finden.

Das ist die nächste Generation nach den durchoptimierten, monolithischen Organisationen, die zu ihrer Zeit große Beiträge geleistet haben.

Aber die Welt hat sich verändert und wir sind dabei, ein neues Kapitel zu eröffnen. Da geht viel. Es wird wahrscheinlich anders sein, als noch vor ein paar Jahrzehnten. Aber umso spannender.

Danke, Arkadi. Was ein fantastisches Schlusswort! Ein umwerfendes Plädoyer für eine neue Art der Führung. Bescheiden, dynamisch, aber mit großen Ambitionen. Ich wünsche euch alles Gute auf diesem Weg.