Burnout: Nach fest kommt ab

Kennst du den alten Handwerkerspruch?

Nach fest kommt ab.

Wenn man eine Schraube immer fester anzieht, kommt irgendwann der Moment, in dem der Kopf der Schraube abreißt.

Bei uns Menschen heißt das Burnout.

Wir sind begeistert gestartet, wollen uns beweisen. Wir setzen alles dafür ein, arbeiten mehr oder minder 24/7. Unglaublich anstrengend – aber Ausruhen können wir ein anderes Mal, jetzt nur nicht zu kurz springen … 

Das, was nach typischen Startup-Alltag klingt, ist der Einstieg in das „Rad der Erschöpfung“, das uns – wenn wir nicht rechtzeitig die Bremse ziehen – immer weiter Richtung Burnout rollt. 

Als CEO und Leader bist du ein wesentlicher, wenn nicht gar der Energiegeber für dein Team. Du kannst aber nur Energie geben, wenn du selbst Energie hast.

Wenn du dich auspowerst, lässt nicht nur deine physische, sondern vor allem deine psychische Leistungskraft nach. Überarbeitet sind wir nicht mehr unser Bestes-Ich: Wir sind anfällig für Stimmungsschwankungen, treffen keine guten Entscheidungen mehr und verlieren die Lust. Oft höre ich von Gründern: „Ganz ehrlich: Eigentlich habe ich keine Kraft mehr“.

Hustle Kultur = Burnout Kultur

Leider ist schlechtes persönliches Energiemanagement ein Teil der Gründerkultur. Viele Gründer gehen ständig über ihre Grenzen und lassen sich kaum Zeit zur Regeneration.

Sie haben das Gefühl, ihren Job nur dann richtig zu machen, wenn sie unter Volldampf rund um die Uhr arbeiten. Irgendwann geht das nicht mehr.

Viele verlässt nach dem Produkt-Markt-Fit und ersten Markterfolgen genau dann die Energie, wenn der kritische nächste Schritt ansteht: Vom Gründer zum CEO zu werden. Ihnen fehlt dann nicht nur die Energie für die eigene Transformation, sondern auch die Energie für die Weiterentwicklung des Unternehmens.

Wir haben gearbeitet wie die Wilden. Von morgens um neun bis Mitternacht und Samstag auch. Wenn du dann Dinge machst, die unangenehm sind, die dir keinen Spaß machen und du dich nicht davor schützen kannst. Wenn du nicht das Bewusstsein hast, dass die Situation schlecht ist, und dann gleichzeitig eine hohe Ambition hast und dich beweisen willst.  Das ist der kritische Punkt. Dann führt das zu einem Burnout.

Gero Decker, Signavio

Das Rad der Erschöpfung

Damit kommen wir zu einem schwierigen Thema: Der Umgang mit Erschöpfung und Burnout. Das Rad der Erschöpfung verdeutlicht die schleichende Entwicklung hin zum Burnout.

Als ich dieses Modell zum ersten Mal sah, was es eine totale Offenbarung. Auch ich überschreite gerne meine Grenzen. In meinen alten Beraterzeiten war ich bis in den roten Bereich der Frustration gekommen. Dabei wollte ich doch nur mein Bestes gegeben. Immer. Aber wie schon gesagt: Nach fest kommt ab.

Das Rad der Schöpfung macht dich handlungsfähig: Du erkennst die Signale bei dir und anderen. Und du kannst anderen und auch dir selbst besser helfen, rechtzeitig wieder runterzukommen.

Phase 1: Idealistische Begeisterung

Jeder Erschöpfungsprozess startet mit einer Phase der idealistischen Begeisterung. Wir haben eine geniale Idee und verspüren den Zwang zu beweisen, dass wir ein tolles Unternehmen aufbauen können. Wir hauen rein, was das Zeug hält.

Damit es schneller geht, machen wir vieles selbst, häufen immer mehr Arbeit an. Leider hat der Tag nur 24 Stunden. Keine Zeit für Entspannung und Erholung. Das holen wir irgendwann nach. Wenn es dann mal besser wird. Wir müssen ja nur noch diesen Meilenstein erreichen, und diesen, und den nächsten …

Noch fühlen wir uns kraftvoll, erreichen viel. Aber unsere Batterien laden wir nicht mehr richtig auf, wir vernachlässigen unsere Bedürfnisse. Nicht mehr lange und die Energie geht zur Neige. Zum Glück können wir das Rad jetzt noch relativ gut zurückdrehen. Und sollten es auch dringend tun.

Phase 2: Stagnation

Ohne Energiezufuhr kommt der Motor irgendwann zum Stillstand. Das ist die zweite Phase. Du arbeitest unter Hochdruck, bist hektisch und gereizt. Kleinigkeiten bringen dich auf die Palme. Du verdrängst die Konflikte und Probleme, die daraus entstehen.

Um dein Verhalten zu rechtfertigen, deutest du deine Werte um. Du raunzt jemanden genervt an: „Klarheit ist alles, dem musste ich einfach zeigen, wo es lang geht.“ Du machst keinen Urlaub: „Für Unternehmer kommt das Unternehmen immer zuerst“.

Sport und Entspannung hast du dir schon lange nicht mehr gegönnt, du isst schlecht und schläfst nicht ausreichend.

Die fehlende Energie macht dich ungeduldig, zynisch und intolerant. Du wirst zu deinem Stress-Ich. Dein Stress-Ich verletzt sein Umfeld, produziert Unsicherheit und Angstgefühle. Gut führen kann es nicht mehr.

Wenn du auf dein Stresslevel angesprochen wirst, leugnest du die Probleme. Die haben doch alle keine Ahnung von deiner Arbeit. Nur DU bringst die Themen nach vorne. Anders als die anderen im Team, die es sich irgendwie einfacher machen. Ständig bist du unzufrieden. Mit dir, mit den anderen. Und diese Unzufriedenheit lässt du alle spüren.

Ich habe das gerade wieder in einem Gründerteam erlebt. Eine der beiden Gründerinnen beklagte sich bei mir:

„Ich bin die einzige, die hier Verantwortung übernimmt. Meine Co-Founderin nimmt sich Zeit für Sport und Familie und ich halte hier die Stellung.“

Gepaart mit der Leugnung der Realität: „Zum Glück habe ich einen Partner, der diesen Ritt versteht und unterstützt.“ Leider stimmte das nicht. Wenige Wochen später stand die Gründerin alleine da.

In der Phase der Frustration wird es allmählich schwieriger, den Motor wieder zum normalen Laufen zu bringen. Je mehr Druck du machst, desto mehr verschleißt du ihn.

Phase 3: Frustration

Wenn du so weiter machst, nimmt die Frustration überhand. Um die Arbeitsmasse zu bewältigen, arbeitest du rund um die Uhr. Rückzug ist angesagt. Interaktionen strengen dich an, du hast das Gefühl, dass dich keiner versteht.

Langsam werden Verhaltensänderungen sichtbar. Die nicht enden wollende Arbeit motiviert dich nicht mehr. Dein Leben verflacht. Freundliche Ratschläge und Unterstützungsangebote ignorierst du.

Oder du reagierst paranoid, und vermutest schlechte Absichten. Dein negatives Denken verselbständigt sich und zieht dich noch weiter runter. Die anderen sind deine Feinde, wollen wir nichts Gutes.

Schließlich nehmen deine kreativen und kognitiven Fähigkeiten vor lauter Erschöpfung ab. Du kannst nicht mehr klar denken, keine guten Entscheidungen mehr treffen.

Gleichzeitig verlierst du das Gefühl für dich selbst. Du bist nur noch eine depersonalisierte Maschine. Die leider immer öfter ausfällt. Denn der andauernde Stress hat dein Immunsystem geschwächt, du wirst häufiger krank. Nun ist der Motor bereits so verschlissen, dass du ihn nur noch mit professioneller Hilfe wiederherstellen kannst.

Auch das habe ich schon in meinen Coachings gehört:

„Mir macht nichts mehr Freude. Ich schleppe mich nur noch ins Office – aber begeistern kann ich mich schon lange nicht mehr. Ständig bin ich gereizt und motze das Team an.“

„Ich fühle mich nicht mehr. Ich bin nur noch eine Maschine. Das macht mir Angst.“

Dummerweise verhindert die Dynamik der Erschöpfung oft, dass die Betroffenen diese Notwendigkeit wahrnehmen.

Phase 4: Apathie

Wer jetzt weitermacht, durchschreitet das Tor zur persönlichen Hölle und geht den Weg in die Apathie.

Der erste Schritt ist innere Leere. Menschen, die diese Stufe erreichen, fragen sich, wem und wozu das eigentlich alles dient. Schlechter Schlaf, Angststörungen und Panikattacken sind Zeichen dieser Phase. Aber auch exzessive, unkontrollierte Ersatzbefriedigungen. Hauptsache irgendetwas fühlen.

Noch ein Schritt und es folgt eine tiefe Depression. Und schließlich der totale Zusammenbruch. Spätestens in der Apathie-Phase ist Burnout nicht mehr „nur“ Erschöpfung, sondern eine Krankheit, die durch Spezialisten behandelt werden muss. Ein guter Coach übergibt seine Klienten in dieser Phase der ärztlichen Betreuung.

„The land of Burnout is not a place I ever want to go back to“

Arianna Huffington

Zum Glück landen die wenigsten von uns in der letzten Phase der Erschöpfung. Aber mal ehrlich: Wie oft warst du schon in der zweiten Stufe? Oder sogar in der Frustration?

Ich kann mich sehr gut an diese Momente erinnern. Und auch an die Unerreichbarkeit, die damit einher ging. Ich habe rund um die Uhr gearbeitet, alles hatte seine innere Logik.

Aber gut war es nicht. Alle haben darunter gelitten, meine Familie, das Team und ich. Und natürlich auch die Arbeit selbst. Entspannt hätte ich viel besser sein können. Klarer denken, Klasse statt Masse, Leichtigkeit statt Druck.

Leidet nicht im Stillen, redet drüber

Gemeinsame Achtsamkeit. Tut euch einen riesigen Gefallen: Holt den Burnout aus der Tabu-Zone. Setzt euch im Gründer- oder Führungsteam mit dem Rad der Erschöpfung auseinander. Diskutiert die Stufen und überlegt, wo ihr steht.

Nur wenn ihr in der ersten Phase bleibt, könnt ihr so führen, wie ihr es euch wünscht: Bewusst, wertschätzend und auf Augenhöhe. Jenseits dieser Phase übernehmen die Dämonen der Erschöpfung zunehmend die Kontrolle.

Achtet aufeinander: Seid ihr noch in der Balance, oder kippt es bei einem von euch? Je früher ihr Fehlentwicklungen erkennt, desto besser seid ihr erreichbar.

Selbstfürsorge. Du kannst nur dann für die anderen sorgen, wenn es dir gut geht. Oder wie es im Flieger heißt: „Bitte legen sie zuerst ihre eigene Maske an …“.

Stell sicher, dass du deine Batterien immer gut auflädst. Deine Arbeit kostet Kraft. Aber nicht immer. Natürlich gibt es Situationen, Tätigkeiten und Menschen, die dich Energie kosten. Das sind deine Energielecks. Es gibt aber auch solche, die dir Energie geben. Das sind deine Energiebooster. Wenn du beide gut kennst, kannst du deine Energie besser managen. In diesem Blogartikel findest du Anregungen für dein Energiemanagement

Ausgleichsziele setzen: Vereinbart im Leadership Team ein festes Zeitkontingent für den Ausgleich: Sport, Freunde treffen, einfach mal zurückziehen. Gebt euch einen freien Tag pro Woche. Und haltet euch für euer Ausgleichsziel gegenseitig accountable. Denn wenn einer von euch mal in die Dynamik gerutscht ist, ist er oder sie nur schwer rauszuholen.

Aktives Stressmanagement. Stress ist Normalität in Startups und lässt sich nur schwer verhindern. Aber du kannst dem Stress aktiv begegnen und seine negative Auswirkung auf dich gezielt reduzieren. Hebel dazu sind Techniken, mit denen du das Level deiner Emotionen unter Stress reduzierst und die Erholung nach dem Stress beschleunigst. Allen voran: Den Stress sprichwörtlich abschütteln. Mit Sport, Tanzen oder Lachen. Mehr dazu in diesem Blogartikel.

Key Take Aways

Die Burnout-Dynamik beginnt ganz harmlos: Wir arbeiten mit idealistischer Begeisterung an einem Projekt und wollen uns beweisen. Leider bleibt es nicht dabei. Wir machen immer mehr, nehmen uns immer weniger Zeit für uns. Die ersten Konflikte treten auf. Mehr Arbeit macht uns nicht mehr produktiver. Damit geht es langsam in die Stagnation.

Wir sind so gestresst, dass wir nicht mehr klar denken können. Die Dinge kosten immer mehr Kraft. Zunehmend kommt Frustration auf. Hoffentlich holt uns spätestens jetzt jemand wieder zurück –  denn sonst landen wir in der Phase der Apathie. Dann hilft nur noch eine klinische Betreuung.

Zur Burnout-Vorbeugung stehen euch vier Methoden zur Verfügung.

  • Gemeinsame Achtsamkeit. Lernt die Burnout-Zeichen erkennen. Achtet aufeinander und gebt euch Feedback, wenn ihr erste Zeichen seht.
  • Selbstfürsorge. Stell sicher, dass du deine Batterien immer gut auflädst. Verstehe deine Energiebooster und -lecks. Organisiere dich rund um die Booster.
  • Ausgleichsziele. Vereinbart im Leadership Team ein festes Zeitkontingent für den persönlichen Ausgleich. Energiemanagement ist eine zentrale Führungsaufgabe.
  • Aktives Stressmanagement. Lerne, den Stress abzuschütteln.

Und nun zu dir!

  • Wo erkennst du dich in der Beschreibung der verschiedenen Erschöpfungsgrade wieder?
  • Wer hilft dir, aus der Burnout-Dynamik auszusteigen?
  • Auf wen hörst du noch, wenn dich andere schon nicht mehr erreichen?

Weiterführende Artikel

Jekyll oder Hyde? Führe als dein Bestes-Ich. Stress deckt gnadenlos unsere Schattenseiten auf. Lies in diesem Artikel, was passiert, wenn wir in unser Stress-Ich fallen und wie du wieder dein Bestes-Ich wirst.

Drei Wege aus der Stressfalle: Burnout können wir am besten vorbeugen, wenn wir unser Stresslevel aktiv reduzieren. Dieser Blogartikel gibt dir Impulse.

Fülle deine Energiebooster, schließe deine Energielecks. Verstehe, was dir Energie gibt und nimmt. Und berücksichtige das in der Gestaltung deiner Rolle und deines Alltags.  

Gib endlich deine Verantwortung ab!

Welche Superpower eint Leader, die ihr Team und ihr Unternehmen nachhaltig zum Wachsen bringen?

Verantwortung abgeben, loslassen!  

Nur, wenn du nachhaltig Verantwortung abgibst, kann dein Unternehmen abheben. Dann bekommst du den Kopf frei für Aufgaben, die außer dir keiner machen kann. Und deine Kollegen wachsen in immer größere Aufgaben hinein, lernen Dinge, die sie sich vielleicht nie zugetraut hätten. Verantwortung übergeben heißt skalieren.   

Leider fällt die Verantwortungsübergabe vielen schwer. Selbermachen bedeutet Kontrolle und fühlt sich wirksam an. Verantwortung abgeben verlangt Vertrauen – aber habe ich das überhaupt?  Und überhaupt: Keiner macht es so, wie ich es will.  Wer so denkt, macht sich zum größten Engpass seines Unternehmens. 

Das Gute: Mit dem richtigen Mindset und der richtigen Technik ist die Verantwortungsübergabe eigentlich ganz leicht!   

Gib endlich deine Verantwortung ab

Mit einer guten Verantwortungsübergabe stellst du sicher, dass

 ✅ beide Parteien ein gemeinsames Ziel und Ergebnis vor Augen haben.
 ✅  du darauf vertrauen kannst, dass das Richtige passiert,
 ✅  ihr in einem guten Austausch zu einem abgestimmten Vorgehen kommt,
 ✅  du ein klares Commitment bekommst: Was, Wer, mit Wem bis Wann,
 ✅  und es euch leicht fällt, den Erfolg nachzuhalten.

Vielen Gründern fällt es schwer, Verantwortung zu übergeben. Die Gründe: Verständnisprobleme, fehlendes Vertrauen, Kontrollbedürfnis.

Statt Verantwortung zu übergeben, geben sie Anweisungen. Die bitteschön möglichst genau so befolgt werden sollen. Dumm nur: Der Geführte macht dann das, was du erwartest. Die Verantwortung für die Ausführung und die Qualität der Ergebnisse bleibt bei dir. Befehle statt Empowerment.

Moderne Führung, preußische Wurzeln

Die Erkenntnis, dass Befehle in komplexen, sich schnell ändernden Umwelten scheitern, ist nichts Neues. Bereits im 19. Jahrhundert erkannte man im preußischen Militär: Ein Befehl beschreibt den Weg zum Ziel. Aber „kein Plan überlebt die erste Feindberührung.“ Wer in unübersichtlichen Situationen dem Wortlaut eines Befehls folgt, ist zum Scheitern verurteilt.

Und so wurde ein damals revolutionäres Führungskonzept entwickelt: Das „Führen mit Auftrag“ oder etwas eingängiger im englischen „Commander‘s Intent“: Die Führungskraft definiert das Ziel und den Kontext der Mission: Erobert diesen Hügel aus Grund x. Der Geführte oder das Team wählt dann seinen eigenen Weg zum Ziel.

Mit diesem Führungsprinzip hat das preußische Militär das Why, What, How von Simon Sinek vorweggenommen. Das Ergebnis: Partnerschaftliche Führung auf Augenhöhe, Flexibilität unter veränderten Umständen, und vor allem die Entlastung der Führung durch einen echten Übergang der Verantwortung.

Gemeinsame Sicht mit Briefing-Backbriefing

Ein zentraler Bestandteil des „Commander‘s Intent“ ist das wechselseitige Briefing und Backbriefing.

Jeder hat einen eigenen Blick auf die Realität. Als Führungskraft siehst du vor allem das große Ganze und die Gesamtstrategie. Dein Kollege steckt tief in den Details. Er sieht die operativen Probleme und Stolpersteine.

Auch wenn ihr gleichen Worten benutzt: Aufgrund der unterschiedlichen Bilder in euren Köpfen könnt ihr dennoch aneinander vorbeireden.

Stellt bei jeder Verantwortungsübertragung sicher, dass ihr das gleiche Verständnis habt. Im Briefing erklärt erst die eine Seite, was sie anstrebt und warum. Im Backbriefing erklärt die Gegenseite dann in eigenen Worten, was bei ihr angekommen ist. Schließlich gleich ihr eure Perspektive ab, bis ihr sicher seid, über das Gleiche zu reden.

Die wenigen Minuten, die diese Abstimmung „kostet“, holt ihr über eine bessere Umsetzung und die Reduktion von Missverständnissen und Abstimmungsschleifen locker wieder rein.

In die Verantwortung führen

Und nun zum „Führen mit Auftrag“.

Die Übertragung von Verantwortung nach diesem Prinzip erfolgt in fünf Schritten. In Summe unterstützen sie alle Eigenschaften von High Performance Teams: Vertrauen, kritischen Diskurs, Verpflichtung, Rechenschaft und gemeinsame Zielorientierung. Die perfekte Basis für die Entstehung von Hochleistung!

Schritt 1: Vorbereitung. Am Anfang steht die Vorbereitung des „Auftrags“. Setze dich mit dem Projekt auseinander, das du in die Verantwortung deiner Kollegin geben möchtest, und definiere die Ziele und Rahmenbedingungen.

Ein gutes Briefing enthält vier Bausteine (deutsches, englisches Template zum runterladen):

  • Ziel & Kontext: Was soll erreicht werden? Warum soll es erreicht werden?
  • Zeitrahmen: Welche Zeit steht zur Umsetzung zur Verfügung?
  • Beteiligte / Stakeholder: Wer ist sonst noch involviert? Was sind die Ziele der Beteiligten?
  • Rahmenbedingungen: Welche Ressourcen sind verfügbar: Zeit, Menschen, Geld? Welche Freiräume gibt es, was darf allein entschieden werden, was nicht?

Mit der bewussten Reflexion baust du deine Verpflichtung zur Aufgabe auf. Jetzt weißt du, was du willst. Das typische „Mal eben über den Zaun werfen“ entfällt und damit eine wesentliche Quelle unbefriedigender Verantwortungsübergaben. Denn mal ehrlich: Wie oft reichen wir eine Aufgabe weiter, von der wir selbst nicht genau wissen, was sie eigentlich erreichen soll! Wie soll es dann erst deinen Kollegen gehen?

In den Teams, die ich begleite, sind unklar definierte Aufgaben ein Dauerbrenner. Die Mitarbeiter versuchen ihr Bestes in der Interpretation, stochern dabei aber im Nebel. Und das Ergebnis frustriert alle. Garbage in, Garbage out.

Schritt 2: Aufgabenklärung. Im zweiten Schritt stellst du deiner Kollegin das Briefing vor. Ganz wichtig: Lass mögliche Umsetzungswege erst mal außen vor. Klingt einfach, ist es aber nicht. Wir sind es gewöhnt immer gleich auch Anweisungen zur Umsetzung zu geben.

Das Problem: Sobald du den Weg vorgibst, bist du dein eigener Gefangener. Denn dann bleibt die Verantwortung für die Ausführung de facto bei dir. Eine echte Übergabe von Verantwortung ist hier bereits gefährdet -­­ und zwar durch dich selbst!

Bitte deine Kollegin dann, ihr Verständnis des Ziels in den eigenen Worten zusammenzufassen. Niemals nur fragen: „Hast du das verstanden?“. Denn ein „Ja“ auf diese Frage bedeutet nur, dass irgendetwas verstanden wurde – aber nicht was.

Geht dann in die Klärung und entwickelt ein gemeinsames Zielverständnis.

Über den Austausch lernst du deine Kollegin besser kennen: Welche Perspektive hat sie? Wie gut versteht und bewertet sie die Situation? Welche Kompetenzen hat sie, was muss sie noch lernen? Wo muss ich helfen, wo kann sie allein laufen?

Wenn du dich in diesen Briefings auf deine Kollegen einlässt und ihnen aktiv zuhörst, entsteht tiefes Vertrauen. Das Beste dabei: Das passiert im Arbeitsprozess, ohne besondere „Kennenlerntermine“.

Die Auftragsklärung ist abgeschlossen, wenn ihr ein gemeinsames Bild der Aufgabe habt.

Schritt 3: Ausarbeitung. Jetzt ist es Zeit für die Kollegin, ins „stille Kämmerlein“ zu gehen und ihren Weg zum Ziel zu entwickeln. Auch für das Backbriefing gibt es ein einfaches Template (in der gleichen Datei wie das Briefing):

  • Zieldefinition: Mein Verständnis des Ziels und des Kontexts
  • Umsetzung: Was werde ich tun, um das Ziel zu erreichen? Welche Ergebnisse will ich liefern, wie messe ich den Erfolg?
  • Zeitrahmen: Wieviel Zeit brauche ich? Bis wann kann ich fertig werden? Was sind gute Meilensteine und Update-Termine?
  • Notwendige Schnittstellen / Ressourcen: Wie werde ich mit den Beteiligten zusammenarbeiten, was brauchen ich von ihnen, was werde ich bereitstellen?

Durch diese Überlegungen baut deine Kollegin ihre Verpflichtung zur Aufgabe auf und übernimmt Verantwortung. Denn der Weg, den sie vorschlägt, ist ihr Weg und keine ungeprüfte Vorgabe von oben. Mit der Reflexion des Ergebnisses und der Erfolgsmessung übernimmt sie Rechenschaft.

Schritt 4: Verantwortungsübergang. Setzt euch dann wieder zusammen. Bitte deine Kollegin, ihre Überlegungen vorzustellen. Dein Job: Erst mal nur zuhören, maximal Verständnisfragen stellen. Damit signalisierst du: Ich nehme dich und deine Überlegungen ernst und schätze deine Arbeit.

Wenn du verstanden hast, was deine Kollegin vorschlägt, kannst du deine eigenen Ideen zur Umsetzung ergänzen. Gemeinsam könnt ihr dann den Vorschlag optimieren.

Mit dem erneuten Zuhören und kritischen Diskurs stärkt ihr euer Vertrauen weiter. Durch den Briefing-Backbrief-Prozess siehst du, wie viel Unterstützung deine Kollegin braucht und kannst entscheiden, wie eng du die Umsetzung begleitest. Das gibt dir Sicherheit.

Auch die Kollegin gewinnt Sicherheit. Sie kann mutiger agieren, da sie weiß, was du willst und dass du ihre Entscheidungen grundsätzlich mitträgst. Durch den wechselseitigen Input steigt auch die Qualität der Umsetzung. Ihr integriert beide Perspektiven: Das Gesamtbild und die operative Erfahrung.

Schließlich einigt ihr euch auf die Kernelemente der Auftragserfüllung: Wer, was, mit wem, bis wann. Ganz wichtig: Die Termine für die Updates. Wenn alles klar ist, geht die Verantwortung final auf die Kollegin über.

Schritt 5: Updates & Abnahme. Schließlich geht es an die Umsetzung. Macht die verabredeten Updates, setzt euch zur finalen Abnahme zusammen. Da ihr die Ziele und das Vorgehen gemeinsam diskutiert und beschlossen habt, fühlt sich die Rechenschaft jetzt ganz natürlich an: Ihr überprüft gemeinsam den Fortschritt der Arbeit. Und die gute Abstimmung macht den Erfolg viel wahrscheinlicher

Die Erkenntnisse aus den Updates sind auch die Basis für das Feedback und das Coaching eurer Kollegin.

Tipps zur praktischen Umsetzung

„Führen mit Auftrag“ bedeutet für viele ein ziemliches Umdenken. Erst nachdenken, dann machen. Die Briefings kosten mehr Zeit, als wenn du nur eine Anweisung über den Zaun wirfst. Du setzt dich intensiv mit den Menschen auseinander und setzt dich ihren kritischen Nachfragen aus.

Wie also bringst du dich dazu, am Ball zu bleiben?

  • Mal dir plastisch aus, wie es sich anfühlt, wenn wirklich alle Kollegen anfangen, Verantwortung zu übernehmen. Puh! Was eine Erleichterung!
  • Übe erst mal mit ausgewählten Kollegen. Erkläre was du vorhast und warum dieses Führungsinstrument so mächtig ist. Ich wette, deine Kollegen haben großes Interesse, diesen Ansatz gemeinsam mit dir zu lernen, da es auch ihre Arbeit nachhaltig verbessert.
  • Starte mit mittelgroßen Projekten, bei denen sich der Aufwand lohnt. Bei kleinen Verantwortungsübergaben kannst du die Checkliste einfach im Kopf durchgehen. Mach dir klar, dass es ums Prinzip geht, nicht um Regeltreue.
  • Gehe offen in den Prozess. Nichts ist demotivierender, als wenn du den Prozess pro forma durchläufst, der Weg aber eigentlich definiert ist. Oder bei Routineaufgaben ohne Alternativen. In beiden Fällen werden sich deine Kollegen vorgeführt fühlen und sich erst recht der Verantwortung entziehen.

Mit zunehmender Übung wird diese neue Arbeitsweise immer natürlicher werden. Wenn du schließlich selbst ein gutes Gefühl hast, lohnt es sich, das Prinzip des „Commander’s Intent“ im gesamten Unternehmen zu verankern.

Mit etwas Übung könnt ihr mit dem „Commander’s Intent“ eine Kultur der Eigenverantwortung schaffen. Wenn du an die Verantwortungsübergabe auch noch Feedback und das Coaching der Kollegen hängst, ist der persönliche Entwicklungszyklus komplett.

Key Take Aways

Ein guter Prozess der Verantwortungsübergabe besteht aus 5 Schritten

  • Zieldefinition durch dich
  •  Gemeinsame Vorstellung und Abklärung des Ziels
  • Erarbeitung des Vorgehens durch dein Gegenüber
  • Gemeinsame Vorstellung und Abklärung des Vorgehens
  • Und schließlich der Umsetzung inklusive Check-ins und Abnahme

Dieser Prozess kostet euch mehr Zeit in der Übergabe, spart aber unglaublich viel Zeit und Frustration, die sich bei der sonst typischen Misskommunikation ergibt. Und er schafft einen sicheren Raum für die volle Verantwortungsübernahme!

Mission Completed. Viel Erfolg beim Ausprobieren!

Und nun zu dir!

  • Wie delegierst du bisher? In welchen Situationen wurde die Verantwortung wirklich übernommen, wann nicht? Was war der Unterschied?
  • Geh eine Situation, in der es nicht funktioniert hat, nochmal in Gedanken durch. Was ändert sich, wenn du mit „Führen mit Auftrag“ arbeitest?
  • Wie kannst du die nachhaltige Verantwortungsübergabe in deinen Alltag einbauen? Was hilft dir, sie wirklich zu verinnerlichen?

Weiterführende Artikel

Mit Vertrauen zu High Performance: High Performance Teams sind gut in diesen 5 Aktivitäten: Vertrauen, kritischer Diskurs, Verpflichtung, Rechenschaft und gemeinsame Zielorientierung.

Volate – Fliegt!

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