Letze Woche im Coaching.
„Ich bin SO WÜTEND auf mich. Es ist eine KATASTROPHE! Ich habe mich zu dieser Konferenz angemeldet. Und im letzten Moment wieder einen Rückzieher gemacht. Ich habe PANIK bekommen. Ich muss uns da PERFEKT vertreten. Aber ICH BIN VÖLLIG UNFÄHIG auf andere Menschen zuzugehen. Ich werde das NIE schaffen…“
Mein Klient war unglaublich enttäuscht von sich. Er weiss, wie wichtig Networking in seiner CSO-Rolle ist. Aber immer wieder macht er einen Rückzug. Dabei ist er eigentlich ein kluger und inspirierender Mensch, mit dem man gerne Gespräche führt.
Ein wunderbares Coachingthema. Denn extreme Reaktionen und Gefühle sind ein klares Signal: Hier blockiert uns ein tiefer, unbewusster Glaubenssatz.
Erst wenn wir diesen Glaubenssatz erkennen, können wir ihn überschreiben und frei agieren.
Zum Glück gibt es einen effektiven und einfachen Weg zu mehr Handlungsfreiheit.
Lies in diesem Blogartikel, wie du deine limitierenden Glaubenssätze identifizierst und dir neuen Handlungsspielraum schaffst.
Glaubenssätze: Das Grundmodell
Unsere Glaubenssätze sind die tiefen Routinen unseres Gehirns. Überzeugungen und Annahmen über uns selbst, andere Menschen und die Welt. Sie steuern unbewusst unsere Entscheidungen und unser Verhalten.
Viele unserer Glaubenssätze wurden schon in unseren ersten Lebensjahren geprägt und haben sich zunehmend verselbstständigt. Oft ist uns nicht gar mehr klar, wer da eigentlich für uns entscheidet. Wir selbst oder irgendein Glaubenssatz.
Das Problem: Nicht alle Glaubenssätze sind förderlich. Viele Glaubenssätze blockieren uns. Erst wenn wir sie aus dem Keller des Unterbewusstseins holen, können wir sie mit förderlichen Annahmen überschreiben und neue Handlungsspielräume schaffen.
Die Arbeit an limitierenden Glaubenssätzen ist ein wichtiger Teil meiner Coachingarbeit. Dabei arbeite ich mit einem Ansatz des amerikanischen Psychologen Albert Ellis.
Albert Ellis war zunächst ein klassischer Psychoanalytiker. Seine Arbeit frustrierte ihn jedoch zusehends. Denn das Verständnis, dass seine Klienten über den Hintergrund ihrer Störungen gewannen, resultierte kaum in Verhaltensänderungen. Im Gegenteil, viele entwickelten eine Haltung des „So bin ich nun mal. Daran kann ich nichts ändern.“
Die Wahrheit ist, dass die meisten Menschen sehr gut ausmachen können, welche schlimmen Dinge sie in ihrem Leben erlitten haben, aber dieses Wissen allein führt nur selten zu langfristigen positiven Veränderungen.
Albert Ellis
Das wollte Albert Ellis nicht so stehen lassen.
Sein Ziel: Eine Methode entwickeln, die es Menschen erlaubt, ihre limitierenden Glaubenssätze zu verstehen und sie so zu überschreiben, dass sie neue Handlungsräume gewinnen.
Seine Erkenntnis hat er mit der ABC-Theorie auf den Punkt gebracht:
Activating event x Belief system -> Consequences
Sprich: Aktivierende Ereignisse treffen auf unser Glaubenssystem und lösen verschiedene Konsequenzen aus: Emotionen und Verhaltensweisen. Diese Verhaltensweisen führen zu Resultaten, die wiederum unser Glaubenssystem stärken.
Und so funktioniert die ABC-Theorie in einem konkreten Beispiel.
Aktivierendes Ereignis. Das aktivierende Ereignis sind spezifische, neutrale Tatsachen. Zum Beispiel: „Ich habe ein Ticket für die nächste Bits&Pretzls-Konferenz.“
Mit deinen Gedanken bewertest du diese Situation. Sie repräsentieren dein aktuelles Überzeugungssystem und können positiv oder negativ sein. So kannst du denken:„Ich bin introvertiert und hasse Konferenzen.“ oder aber „Ich liebe Konferenzen, da treffe ich inspirierende Menschen.“
Deine Gedanken haben verschiedene Konsequenzen: Deine Gefühle, dein Verhalten und schließlich die Resultate deines Handelns.
Gefühle sind die erste Konsequenz.
- „Ich bin introvertiert und hasse Konferenzen.“ löst wahrscheinlich Gefühle der Angst, Panik oder Einsamkeit aus.
- „Ich liebe Konferenzen, da treffe ich inspirierende Menschen.“ ein Gefühl des Glücks, der Begeisterung und der Verbundenheit.
Dein Verhalten ist das, was du in Folge des Gefühls tust oder unterlässt.
- So kann das Gefühl der Verzagtheit dazu führen, dass du die Konferenz schwänzt, wie mein Klient. Oder du gehst hin, zwingst dich aber nur mühsam zu Gesprächen oder versteckst dich in den Vorträgen.
- Das Gefühl der Begeisterung kann dazu führen, dass du vor der Konferenz Menschen ansprichst, die du kennenlernen willst und Termine mit ihnen ausmachst.
Das Resultat ist das Ergebnis deines Handels oder Nicht-Handelns.
- Im limitierenden Fall wirst du am Ende der Konferenz wahrscheinlich völlig erschöpft und frustriert sein und vor allem keine neuen Menschen getroffen haben.
- Im förderlichen Fall bist du happy, weil du viele neue Menschen kennengelernt und neue Opportunities ausgelotet hast.
Das Resultat ist letztlich eine selbsterfüllende Prophezeiung.
Es stärkt den Glaubenssatz, der hinter deinen Gedanken steht:
- Ich bin total unfähig, Kontakt mit anderen aufzunehmen.
- Ich bin in der Lage, neue Menschen kennenzulernen.
Rationale und irrationale Glaubenssätze
Bevor wir in die praktische Umsetzung einsteigen, tauchen wir noch einen Schritt tiefer in die Systematik der förderlichen und limitierenden Glaubenssätze ein.
Förderliche Glaubenssätze sind selbstunterstützend und aktivierend. Ellis nennt sie rational. Sie machen uns produktiv und unterstützen unsere Anpassung an die Gegebenheiten. Sie äußern sich in Präferenzen, Wünschen und Bedürfnissen.
Rationale Glaubenssätze lösen gesunde positive und negative Gefühle aus, z.B. Freude und Begeisterung oder aber Sorge, Bedauern, Frustration und Ärger. Gesunde Gefühle sind angemessen für die jeweilige Situation und bringen uns ins Handeln. Wenn du vor einer Konferenz nervös und aufgeregt bist, kann das gesund sein: Diese Gefühle bringen dich dazu, dich besser vorzubereiten.
Limitierende Glaubenssätze sind selbstschädigend und blockieren uns. Ellis nennt sie irrational. Sie grenzen uns aus, sind rigide, ungesund und dogmatisch. Sie äußern sich in Ansprüchen, Müssen und Sollen.
Irrationale Glaubenssäte lösen ungesunde, negative Gefühle aus: Selbstmitleid, Wut, Panik, Niedergeschlagenheit. Ungesunde Gefühle sind übermäßig im Verhältnis zur Situation und resultieren in Passivität oder destruktiven Verhaltensweisen. Es ist unangemessen, vor einer Konferenz in Panik zu geraten. Denn: Was soll schon passieren?
Die irrationalen Glaubenssätze unterteilt Ellis in 3 Gruppen. Diese Gruppen klingen erst mal etwas absurd. Aber solchen Ansprüchen begegne ich in meiner Coachingarbeit fast täglich:
Extreme Ansprüche an uns selbst: Ich muss unbedingt und jederzeit wichtige Aufgaben perfekt erledigen und von anderen Personen geschätzt werden, sonst bin ich ein unzulänglicher, nicht liebenswerter Mensch. Typische Gefühle: Angst, Niedergeschlagenheit, Selbsthass, Vermeiden von Situationen, in denen man scheitern könnte.
Beispiele:
- Ich bin ein grauenvoller Unternehmer, wenn ich nicht immer alles im Detail verstehe.
- Ich muss bei Events immer der perfekte Small Talker sein, sonst habe ich da nichts zu suchen.
Extreme Ansprüche an andere: Andere Menschen müssen mich jederzeit und unter allen Umständen fair und gerecht behandeln, sonst sind sie verkommene, verdammungswürdige Personen. Typische Gefühle: Wut, übermäßige Aufsässigkeit, Abwertung anderer.
Beispiele:
- Der CMO muss das doch alles wissen. Sonst kann ich ihn gleich feuern.
- Die anderen Mitglieder des Konsortiums sind völlig verpeilt. Totale Idioten, denen jegliche Selbstreflektion fehlt.
Extreme Ansprüche an die Umstände: Die Umstände, unter denen ich lebe, müssen jederzeit perfekt sein. Sie müssen mir sofort Zugang zur Belohnung verschaffen. Sie dürfen nicht verlangen, dass ich hart arbeiten muss, um sie zu verändern oder zu verbessern. Ansonsten ist es schrecklich, ich halte es nicht aus und komme damit nicht zurecht. Typische Gefühle: Selbstmitleid, geringe Frustrationstoleranz, aber auch Wut und Niedergeschlagenheit.
Beispiele:
- Dieser Stau ist völlig unerträglich. Ich halte das nicht aus.
- Ich will diese Beförderung jetzt sofort. Es ist unverschämt, dass ich mich erst beweisen muss. Wenn es nicht sofort klappt, gehe ich.
In den Beschreibungen siehst du schon den gemeinsamen Nenner irrationaler Glaubenssätze: Sie sind extrem und absolut. Es geht um Müssen und Sollen, jederzeit, immer, sofort und unter allen Umständen.
Unsere Reaktion auf die Nichterfüllung unserer irrationalen Ansprüche ist genauso extrem:
- Selbstherabwürdigung und Verdammung: Wenn ich diesen Anspruch nicht erfüllen kann, bin ich nichts wert. Wer meine Ansprüche nicht erfüllt, ist zu verdammen.
- Verschrecklichung und niedrige Frustrationstoleranz: Wenn etwas diesen Glaubenssätzen widerspricht, ist das absolut schrecklich. Ich kann das nicht ertragen.
- Übergeneralisierung: Wenn meine Ansprüche einmal nicht erfüllt wurden, wird das immer wieder passieren. Ich oder andere werden immer versagen, mein Leben wird immer hoffnungslos und freudlos sein.
Unser Eingangsbeispiel hat all das gezeigt:
- Der extreme Anspruch: „Ich muss uns da perfekt vertreten.“
- Der Selbsthass: „Ich bin so unglaublich wütend auf mich“.
- Die Selbstabwertung: „Ich bin völlig unfähig,auf andere Menschen zuzugehen.“
- Die übermäßige Angst: “Ich habe Panikbekommen.“
- Die Verschrecklichung: „Es ist eine Katastrophe.“
- Die Übergeneralisierung: „Ich werde das nieschaffen.“
Wann immer du in deiner Interaktion solche Übertreibungen erlebst – sei es bei dir oder anderen – ist das ein klares Signal: Hier ist ein irrationaler Glaubenssatz am Werk, der dich in deiner Handlungsfreiheit begrenzt.
Zeit ihn zu identifizieren und neu zu definieren.
Radikale Selbstverantwortung:
Die Situation ist, was sie ist. Was sie mit mir macht, bestimme ich.
Dorothea von Wichert-Nick
Arbeit mit Glaubenssätzen
Die wenigsten unserer Glaubenssätze sind offensichtlich – wohl aber unsere Reaktionen auf bestimmte Situationen.
Sind deine Reaktionen auf eine Situation angemessen und bringen dich ins Handeln? Super, hier wird dein Handeln von rationalen, förderlichen Glaubenssätzen geprägt.
Oder sind es übermäßige, negative Reaktionen, die dich aus dem Konzept bringen? Dann haben dich mit hoher Wahrscheinlichkeit irrationale Glaubenssätze im Griff.
Nutze nun die Kette „Ereignis-Gedanken-Gefühle-Verhalten-Resultat“, um zu deinen Glaubenssätzen vorzudringen.
Vorbereitung
Setze als erstes eine Tabelle mit 2 Spalten und 7 Zeilen auf oder nutze mein Template (DE EN):
Schritt 1: Ereignis identifizieren
Schreibe auf, was das Ereignis ist, auf das du besonders, vielleicht sogar unangemessen stark, reagierst. Was war passiert? So neutral wie möglich. Als hättest du es filmen können.
Schritt 2: Exploration der irrationalen, limitierenden Glaubenssätze
Starte dann die Exploration:
- Welche Gedanken löst dieses Ereignis aus?
- Welche Gefühle kommen mit diesen Gedanken?
- Wie verhalte ich mich angesichts dieser Gedanken und Gefühle?
- Welche Resultate erlebe ich und was steht dahinter?
Nutze dafür die linke Spalte der Tabelle.
Du wirst schnell sehen: Das Niederschreiben hilft dir, zu verstehen, wie deine Gedanken, Gefühle und Aktionen zusammenhängen und dich unbewusst limitieren.
Überlege zuletzt, was wohl der Glaubenssatz ist, der hinter dieser Schleife steht.
Schritt 3: Erarbeitung einer rationalen, förderlichen Alternative
Zum Glück hast du die Wahl. Denn alles außer dem auslösenden Ereignis ist deine Entscheidung. Du kannst alles ändern: Deine Gedanken, deine Gefühle, dein Verhalten und damit das Resultat deines Tuns.
Bei der Entwicklung der aktivierenden Sichtweise startest du am besten mit dem gewünschten Resultat.
- Welches Resultat würde ich gerne erreichen? In diesem Fall z.B. 10 neue Menschen kennenlernen.
- Was müsste ich dafür tun (Verhalten)? Hier solltest du deinen eigenen Weg definieren. Mir würde es z.B. helfen, bereits vorher Termine zu machen. Wenn ich bereits ein paar Termine habe, bin ich viel entspannter unterwegs. Bei dir kann das aber etwas anderes sein.
- Welche Gefühle würden mich zu diesem Verhalten bringen?
- Welche Gedanken schaffen diese Gefühle?
Schritt 4: Förderlichen Glaubenssatz erarbeiten
Übersetze die neue Handlungsweise in einen neuen, rationalen Glaubenssatz. Und mache damit die einmalige Handlung zu einem neuen, förderlichen Handlungsgrundsatz.
Hier nochmal die Schritte im Überblick:
Ich mache diese Übung regelmäßig mit meinen Klienten.
Der Effekt ist immer der gleiche: Totale Begeisterung!
Wow, es gibt eine Alternative. Ich kann anders Denken, Fühlen und Handeln. Ich kann mich selbst aus dem Gefängnis meiner limitierenden Glaubenssätze befreien – und es ist gar nicht mal schwer.
Natürlich reicht es nicht, ein neues Modell zu haben, es muss dann auch noch gelebt werden. Aber wenn du mal verstanden hast, wo du dich selbst blockiert und wie cool die Alternative sein kann, fällt es dir viel leichter, dein Handeln anzupassen.
Key Take Aways
Unsere Glaubenssätze sind die tiefen Routinen unseres Gehirns: Überzeugungen und Annahmen über uns selbst, andere Menschen und die Welt. Sie steuern unbewusst unsere Entscheidungen und unser Verhalten.
Das Problem: Viele Glaubenssätze blockieren uns. Limitierende Glaubenssätze zeigen sich in negativen Denkweisen, unangemessenen Gefühlen und irrationalen Handlungsweisen.
Mit dieser Methode hinterfragst du deine limitierenden Glaubenssätze und schaffst dir neue Handlungsoptionen:
Schritt 1: Schreibe das Ereignis auf, das deine negativen Gedanken und Gefühle auslöst
Schritt 2: Dechiffriere dein Verhalten: Welche Gedanken habe ich zu dieser Situation? Welche Gefühle lösen sie aus? Wie verhalte ich mich dann? Was ist das Resultat dieser Schleife? Welchen Glaubenssatz bestätigt das negative Resultat?
Schritt 3: Schaffe eine alternative Handlungsweise. Starte dabei am besten von hinten: Was für ein Resultat will ich eigentlich haben? Wie müsste ich mich verhalten, damit ich es erreiche? Welche Gefühle würde mein Verhalten auslösen? Welche Gedanken hätte ich dann in dieser Situation?
Schritt 4: Überlege schließlich, wie ein neuer, förderlicher Glaubenssatz aussieht.
Hier findest du das passende Template (DE EN).
Viel Erfolg bei der Umsetzung.
Und nun zu dir!
- Gibt es Situationen, die regelmäßig negative Gedanken und Gefühle auslösen?
- Wie verhältst du dich dann? Ist das produktiv für dich?
- Wie sehr bestätigt das Ergebnis deine Denkweise über die Welt?
- Wie könntest du anders über diese Situationen nachdenken?
- Was würde dann möglich werden?