Kennst du den alten Handwerkerspruch?
Nach fest kommt ab.
Wenn man eine Schraube immer fester anzieht, kommt irgendwann der Moment, in dem der Kopf der Schraube abreißt.
Bei uns Menschen heißt das Burnout.
Wir sind begeistert gestartet, wollen uns beweisen. Wir setzen alles dafür ein, arbeiten mehr oder minder 24/7. Unglaublich anstrengend – aber Ausruhen können wir ein anderes Mal, jetzt nur nicht zu kurz springen …
Das, was nach typischen Startup-Alltag klingt, ist der Einstieg in das “Rad der Erschöpfung”, das uns – wenn wir nicht rechtzeitig die Bremse ziehen – immer weiter Richtung Burnout rollt.
Als CEO und Leader bist du ein wesentlicher, wenn nicht gar der Energiegeber für dein Team. Du kannst aber nur Energie geben, wenn du selbst Energie hast.
Wenn du dich auspowerst, lässt nicht nur deine physische, sondern vor allem deine psychische Leistungskraft nach. Überarbeitet sind wir nicht mehr unser Bestes-Ich: Wir sind anfällig für Stimmungsschwankungen, treffen keine guten Entscheidungen mehr und verlieren die Lust. Oft höre ich von Gründern: „Ganz ehrlich: Eigentlich habe ich keine Kraft mehr“.
Hustle Kultur = Burnout Kultur
Leider ist schlechtes persönliches Energiemanagement ein Teil der Gründerkultur. Viele Gründer gehen ständig über ihre Grenzen und lassen sich kaum Zeit zur Regeneration.
Sie haben das Gefühl, ihren Job nur dann richtig zu machen, wenn sie unter Volldampf rund um die Uhr arbeiten. Irgendwann geht das nicht mehr.
Viele verlässt nach dem Produkt-Markt-Fit und ersten Markterfolgen genau dann die Energie, wenn der kritische nächste Schritt ansteht: Vom Gründer zum CEO zu werden. Ihnen fehlt dann nicht nur die Energie für die eigene Transformation, sondern auch die Energie für die Weiterentwicklung des Unternehmens.
Wir haben gearbeitet wie die Wilden. Von morgens um neun bis Mitternacht und Samstag auch. Wenn du dann Dinge machst, die unangenehm sind, die dir keinen Spaß machen und du dich nicht davor schützen kannst. Wenn du nicht das Bewusstsein hast, dass die Situation schlecht ist, und dann gleichzeitig eine hohe Ambition hast und dich beweisen willst. Das ist der kritische Punkt. Dann führt das zu einem Burnout.
Gero Decker, Signavio
Das Rad der Erschöpfung
Damit kommen wir zu einem schwierigen Thema: Der Umgang mit Erschöpfung und Burnout. Das Rad der Erschöpfung verdeutlicht die schleichende Entwicklung hin zum Burnout.
Als ich dieses Modell zum ersten Mal sah, was es eine totale Offenbarung. Auch ich überschreite gerne meine Grenzen. In meinen alten Beraterzeiten war ich bis in den roten Bereich der Frustration gekommen. Dabei wollte ich doch nur mein Bestes gegeben. Immer. Aber wie schon gesagt: Nach fest kommt ab.
Das Rad der Schöpfung macht dich handlungsfähig: Du erkennst die Signale bei dir und anderen. Und du kannst anderen und auch dir selbst besser helfen, rechtzeitig wieder runterzukommen.
Phase 1: Idealistische Begeisterung
Jeder Erschöpfungsprozess startet mit einer Phase der idealistischen Begeisterung. Wir haben eine geniale Idee und verspüren den Zwang zu beweisen, dass wir ein tolles Unternehmen aufbauen können. Wir hauen rein, was das Zeug hält.
Damit es schneller geht, machen wir vieles selbst, häufen immer mehr Arbeit an. Leider hat der Tag nur 24 Stunden. Keine Zeit für Entspannung und Erholung. Das holen wir irgendwann nach. Wenn es dann mal besser wird. Wir müssen ja nur noch diesen Meilenstein erreichen, und diesen, und den nächsten …
Noch fühlen wir uns kraftvoll, erreichen viel. Aber unsere Batterien laden wir nicht mehr richtig auf, wir vernachlässigen unsere Bedürfnisse. Nicht mehr lange und die Energie geht zur Neige. Zum Glück können wir das Rad jetzt noch relativ gut zurückdrehen. Und sollten es auch dringend tun.
Phase 2: Stagnation
Ohne Energiezufuhr kommt der Motor irgendwann zum Stillstand. Das ist die zweite Phase. Du arbeitest unter Hochdruck, bist hektisch und gereizt. Kleinigkeiten bringen dich auf die Palme. Du verdrängst die Konflikte und Probleme, die daraus entstehen.
Um dein Verhalten zu rechtfertigen, deutest du deine Werte um. Du raunzt jemanden genervt an: „Klarheit ist alles, dem musste ich einfach zeigen, wo es lang geht.“ Du machst keinen Urlaub: „Für Unternehmer kommt das Unternehmen immer zuerst“.
Sport und Entspannung hast du dir schon lange nicht mehr gegönnt, du isst schlecht und schläfst nicht ausreichend.
Die fehlende Energie macht dich ungeduldig, zynisch und intolerant. Du wirst zu deinem Stress-Ich. Dein Stress-Ich verletzt sein Umfeld, produziert Unsicherheit und Angstgefühle. Gut führen kann es nicht mehr.
Wenn du auf dein Stresslevel angesprochen wirst, leugnest du die Probleme. Die haben doch alle keine Ahnung von deiner Arbeit. Nur DU bringst die Themen nach vorne. Anders als die anderen im Team, die es sich irgendwie einfacher machen. Ständig bist du unzufrieden. Mit dir, mit den anderen. Und diese Unzufriedenheit lässt du alle spüren.
Ich habe das gerade wieder in einem Gründerteam erlebt. Eine der beiden Gründerinnen beklagte sich bei mir:
„Ich bin die einzige, die hier Verantwortung übernimmt. Meine Co-Founderin nimmt sich Zeit für Sport und Familie und ich halte hier die Stellung.“
Gepaart mit der Leugnung der Realität: „Zum Glück habe ich einen Partner, der diesen Ritt versteht und unterstützt.“ Leider stimmte das nicht. Wenige Wochen später stand die Gründerin alleine da.
In der Phase der Frustration wird es allmählich schwieriger, den Motor wieder zum normalen Laufen zu bringen. Je mehr Druck du machst, desto mehr verschleißt du ihn.
Phase 3: Frustration
Wenn du so weiter machst, nimmt die Frustration überhand. Um die Arbeitsmasse zu bewältigen, arbeitest du rund um die Uhr. Rückzug ist angesagt. Interaktionen strengen dich an, du hast das Gefühl, dass dich keiner versteht.
Langsam werden Verhaltensänderungen sichtbar. Die nicht enden wollende Arbeit motiviert dich nicht mehr. Dein Leben verflacht. Freundliche Ratschläge und Unterstützungsangebote ignorierst du.
Oder du reagierst paranoid, und vermutest schlechte Absichten. Dein negatives Denken verselbständigt sich und zieht dich noch weiter runter. Die anderen sind deine Feinde, wollen wir nichts Gutes.
Schließlich nehmen deine kreativen und kognitiven Fähigkeiten vor lauter Erschöpfung ab. Du kannst nicht mehr klar denken, keine guten Entscheidungen mehr treffen.
Gleichzeitig verlierst du das Gefühl für dich selbst. Du bist nur noch eine depersonalisierte Maschine. Die leider immer öfter ausfällt. Denn der andauernde Stress hat dein Immunsystem geschwächt, du wirst häufiger krank. Nun ist der Motor bereits so verschlissen, dass du ihn nur noch mit professioneller Hilfe wiederherstellen kannst.
Auch das habe ich schon in meinen Coachings gehört:
„Mir macht nichts mehr Freude. Ich schleppe mich nur noch ins Office – aber begeistern kann ich mich schon lange nicht mehr. Ständig bin ich gereizt und motze das Team an.“
„Ich fühle mich nicht mehr. Ich bin nur noch eine Maschine. Das macht mir Angst.“
Dummerweise verhindert die Dynamik der Erschöpfung oft, dass die Betroffenen diese Notwendigkeit wahrnehmen.
Phase 4: Apathie
Wer jetzt weitermacht, durchschreitet das Tor zur persönlichen Hölle und geht den Weg in die Apathie.
Der erste Schritt ist innere Leere. Menschen, die diese Stufe erreichen, fragen sich, wem und wozu das eigentlich alles dient. Schlechter Schlaf, Angststörungen und Panikattacken sind Zeichen dieser Phase. Aber auch exzessive, unkontrollierte Ersatzbefriedigungen. Hauptsache irgendetwas fühlen.
Noch ein Schritt und es folgt eine tiefe Depression. Und schließlich der totale Zusammenbruch. Spätestens in der Apathie-Phase ist Burnout nicht mehr „nur“ Erschöpfung, sondern eine Krankheit, die durch Spezialisten behandelt werden muss. Ein guter Coach übergibt seine Klienten in dieser Phase der ärztlichen Betreuung.
“The land of Burnout is not a place I ever want to go back to”
Arianna Huffington
Zum Glück landen die wenigsten von uns in der letzten Phase der Erschöpfung. Aber mal ehrlich: Wie oft warst du schon in der zweiten Stufe? Oder sogar in der Frustration?
Ich kann mich sehr gut an diese Momente erinnern. Und auch an die Unerreichbarkeit, die damit einher ging. Ich habe rund um die Uhr gearbeitet, alles hatte seine innere Logik.
Aber gut war es nicht. Alle haben darunter gelitten, meine Familie, das Team und ich. Und natürlich auch die Arbeit selbst. Entspannt hätte ich viel besser sein können. Klarer denken, Klasse statt Masse, Leichtigkeit statt Druck.
Leidet nicht im Stillen, redet drüber
Gemeinsame Achtsamkeit. Tut euch einen riesigen Gefallen: Holt den Burnout aus der Tabu-Zone. Setzt euch im Gründer- oder Führungsteam mit dem Rad der Erschöpfung auseinander. Diskutiert die Stufen und überlegt, wo ihr steht.
Nur wenn ihr in der ersten Phase bleibt, könnt ihr so führen, wie ihr es euch wünscht: Bewusst, wertschätzend und auf Augenhöhe. Jenseits dieser Phase übernehmen die Dämonen der Erschöpfung zunehmend die Kontrolle.
Achtet aufeinander: Seid ihr noch in der Balance, oder kippt es bei einem von euch? Je früher ihr Fehlentwicklungen erkennt, desto besser seid ihr erreichbar.
Selbstfürsorge. Du kannst nur dann für die anderen sorgen, wenn es dir gut geht. Oder wie es im Flieger heißt: „Bitte legen sie zuerst ihre eigene Maske an …“.
Stell sicher, dass du deine Batterien immer gut auflädst. Deine Arbeit kostet Kraft. Aber nicht immer. Natürlich gibt es Situationen, Tätigkeiten und Menschen, die dich Energie kosten. Das sind deine Energielecks. Es gibt aber auch solche, die dir Energie geben. Das sind deine Energiebooster. Wenn du beide gut kennst, kannst du deine Energie besser managen. In diesem Blogartikel findest du Anregungen für dein Energiemanagement
Ausgleichsziele setzen: Vereinbart im Leadership Team ein festes Zeitkontingent für den Ausgleich: Sport, Freunde treffen, einfach mal zurückziehen. Gebt euch einen freien Tag pro Woche. Und haltet euch für euer Ausgleichsziel gegenseitig accountable. Denn wenn einer von euch mal in die Dynamik gerutscht ist, ist er oder sie nur schwer rauszuholen.
Aktives Stressmanagement. Stress ist Normalität in Startups und lässt sich nur schwer verhindern. Aber du kannst dem Stress aktiv begegnen und seine negative Auswirkung auf dich gezielt reduzieren. Hebel dazu sind Techniken, mit denen du das Level deiner Emotionen unter Stress reduzierst und die Erholung nach dem Stress beschleunigst. Allen voran: Den Stress sprichwörtlich abschütteln. Mit Sport, Tanzen oder Lachen. Mehr dazu in diesem Blogartikel.
Key Take Aways
Die Burnout-Dynamik beginnt ganz harmlos: Wir arbeiten mit idealistischer Begeisterung an einem Projekt und wollen uns beweisen. Leider bleibt es nicht dabei. Wir machen immer mehr, nehmen uns immer weniger Zeit für uns. Die ersten Konflikte treten auf. Mehr Arbeit macht uns nicht mehr produktiver. Damit geht es langsam in die Stagnation.
Wir sind so gestresst, dass wir nicht mehr klar denken können. Die Dinge kosten immer mehr Kraft. Zunehmend kommt Frustration auf. Hoffentlich holt uns spätestens jetzt jemand wieder zurück – denn sonst landen wir in der Phase der Apathie. Dann hilft nur noch eine klinische Betreuung.
Zur Burnout-Vorbeugung stehen euch vier Methoden zur Verfügung.
- Gemeinsame Achtsamkeit. Lernt die Burnout-Zeichen erkennen. Achtet aufeinander und gebt euch Feedback, wenn ihr erste Zeichen seht.
- Selbstfürsorge. Stell sicher, dass du deine Batterien immer gut auflädst. Verstehe deine Energiebooster und -lecks. Organisiere dich rund um die Booster.
- Ausgleichsziele. Vereinbart im Leadership Team ein festes Zeitkontingent für den persönlichen Ausgleich. Energiemanagement ist eine zentrale Führungsaufgabe.
- Aktives Stressmanagement. Lerne, den Stress abzuschütteln.
Und nun zu dir!
- Wo erkennst du dich in der Beschreibung der verschiedenen Erschöpfungsgrade wieder?
- Wer hilft dir, aus der Burnout-Dynamik auszusteigen?
- Auf wen hörst du noch, wenn dich andere schon nicht mehr erreichen?
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