„Das ist eine wirklich gute Frage! …“
Kennst du diesen magischen, fast ein wenig atemlosen Moment? Jemand hat dir eine Frage gestellt und plötzlich öffnen sich für dich neue Welten? Dinge, über die du lange nachgedacht hast, werden plötzlich klar? Manchmal reicht eine kleine Frage, um uns auf ein ganz neues Level des Verständnisses zu bringen.
Ich liebe diese Momente in meinen Coachings. Die Reaktion „Das ist eine wirklich gute Frage!“ zeigt, dass wir auf eine Goldader der Erkenntnis gestoßen sind. Die Frage hat in meinem Gegenüber eine nachhaltige Reflexion angestoßen. Meist geht dieser Satz mit einem Aufleuchten der Augen und einem kleinen Energieflash einher. Denn es gibt uns Energie, wenn wir lernen und neue Perspektiven gewinnen – für uns oder für das, was wir gerade tun.
Sprich: Mit guten Fragen kannst du unglaublich viel bewegen. Aber wozu sind Fragen eigentlich da? Was macht gute Fragen aus? Und welche Typen von Fragen lassen sich unterscheiden? Das schauen wir uns in diesem Artikel an.
Wozu sind Fragen da?
First things first: Wozu sind Fragen eigentlich da? Gute Fragen haben 4 verschiedene Aufgaben: Informationen sammeln, Annahmen klären, Reflexion anregen und Beziehungen gestalten.
Informationen sammeln: Mit Fragen sammeln wir alle möglichen Informationen. Neben klassischen „Daten“ sind das die Meinungen deines Gegenübers, ihre Werte, Interessen und Einstellungen oder seine Gefühle. Bei der Informationssammlung geht es erst einmal um das grundsätzliche Verständnis. Typische Fragen der Informationssammlung sind dem Wer, Wie, Was, Wann, Woher… gewidmet.
Annahmen klären und hinterfragen: Bei der Annahmenklärung geht es um das Verständnis der Informationen. Sie ist quasi die erste Ableitung der Information: Was steht hinter dieser Information? Was genau ist gemeint? Wenn du XXX sagst, was meinst du damit?
Reflexion & Lösungen anregen: Auf die Klärung folgt die Reflexion: Was bedeutet das alles für mich / dich? Wie kannst du diese Informationen und Klärungen nutzen, um etwas Neues zu entwickeln? Gute Fragen bringen uns zu guten Lösungen.
Beziehung gestalten: Schließlich sind Fragen ganz hervorragend geeignet, um Gespräche in Gang zu bringen und Beziehungen zu gestalten. Gute Fragen zeigen: Ich interessiere mich für dich. Du bist mir wichtig. Ich möchte mich auf dich einlassen.
Mit all diesen Funktionen sind gute Fragen ein wesentliches Führungsinstrument: Sie schaffen tiefe Beziehungen und helfen, Probleme zu lösen. Gute Fragen sind oft wesentlich effizienter als gute Antworten, denn sie öffnen den Weg für Neues. Und doch tun sich viele von uns schwer, gute Fragen zu stellen – wie auch schon im letzten Blogartikel diskutiert.
Menschen, die eher zu Antworten neigen, stellen oft Fragen, die eigentlich gar keine sind: Rhetorische Fragen.Rhetorische Fragen sind Aussagen, die durch ihren Tonfall, ihren Satzbau und die Ergänzung typischer Fragenwörter als Frage „verkleidet“ werden. Sie geben die Illusion der Offenheit, dabei steht die Antwort längst fest. Das einzige, nach dem wir mit rhetorischen Fragen suchen, ist die Bestätigung durch unser Gegenüber: Wie oft soll ich dir das noch erklären? Ist das nicht offensichtlich?
Gute Fragen: Neugierig, offen, neutral, einladend
Was macht nun die Qualität besonders guter Fragen aus? Eine hervorragende Beschreibung guter Fragen gibt Sharon Strand Ellison in ihrem Buch „Taking the War Out of Our Words“. Gute Fragen haben aus ihrer Sicht 4 Eigenschaften: Sie sind neugierig, offen, neutral und einladend. Sie
- richten sich mit unbefangener Neugierde voll und ganz auf die Erkundung des Fragethemas und haben keine versteckte Agenda.
- sind offen hinsichtlich möglicher Antworten und lassen auch Ergebnisse zu, die wir vielleicht nicht hören wollen.
- werden in einem neutralen, entspannten Tonfall gestellt. Sie klingen fast wie eine Aussage und bauen keinen Druck auf das Gegenüber auf.
- laden mit einem freundlichen Tonfall zur Beantwortung ein und schaffen damit ein Klima der psychologischen Sicherheit.
Gute Frage schaffen damit Raum für Neues. Sie fördern Entwicklung und zahlen auf unsere Beziehung ein.
„Successful people ask better questions, and as a result get better answers.“
Tony Robbins
Schlechte Fragen sind dagegen Fragen, die unser Gegenüber in die Defensive bringen. Fragen, bei denen es darum geht, den anderen auszufragen, anzuzweifeln oder ins Kreuzverhör nehmen. Sie kommen typischerweise mit einem aggressiven oder anklagenden Unterton, mit einer abwehrenden Körpersprache oder in Verbindung mit verallgemeinernden oder übertreibenden Formulierungen wie: jemals, immer, nur, niemals, alles…
Zu den schlechten Fragen gehören auch Suggestivfragen. Also Fragen, die nur ein Ja oder Nein zulassen, oder Fragen, die suggestiv zu einer Antwort führen: Willst du dir diese Chance wirklich entgehen lassen? Meinst du nicht auch, dass wir das Projekt soundso machen sollten?
Kopf vs. Herz-Fragen
Zu den Fragetypen gibt es beliebig viele Unterteilungen. Besonders hilfreich finde ich die Unterteilung in zielorientierte Kopf- und explorierende Herz-Fragen, die von Otto Schamer in seiner Theorie U geprägt wurden.
Zielorientierte Kopf-Fragen. Das Ziel von Kopf-Fragen ist das schnelle Erkunden von Situationen und Lösen konkreter Probleme. In dieses Feld fallen die meisten Wer-, Wie-, Wann-, Woher-… Fragen. Mit zielorientierten Kopf-Fragen sondieren wir das Umfeld, suchen nach Mustern, um zu einer Lösung zu kommen. Ein super Beispiel für zielorientierte Fragen sind die 6 Fragen, die sich Journalisten bei der Erstellung von Sachartikeln stellen:
- Was ist geschehen?
- Wo ist es geschehen?
- Wann ist es geschehen?
- Wer ist involviert?
- Wie ist das Ereignis abgelaufen?
- Warum ist es passiert?
Zielorientierte Sachfragen sollten wir einsetzen, wenn wir ein relativ konkretes, sachlich begrenztes Problem schnell lösen wollen. Wir haben die Idee einer Lösung und sammeln – oft selektiv – alle Informationen, die uns zu dieser Lösung bringen. Jede Frage ist wie ein kleines Puzzleteil, alle Lösungen zusammen ergeben das Gesamtbild.
Anders bei den explorierenden Herz-Fragen. Unser Ziel ist es hier, einen offenen Blick auf Alternativen zu gewinnen, verdeckte Potenziale freizulegen und zu neuen Lösungen zu kommen. Herz-Fragen sind ein wesentlicher Bestandteil beim Coaching. Sie schaffen neues und tiefes Wissen und sind im besten Sinne entwaffnend. Denn explorierende Fragen führen oft dazu, dass wir unsere Rüstung ablegen und uns öffnen. Es sind genau diese Herz-Fragen, die zu den magischen „Das ist aber eine gute Frage!“-Momenten führen, denn sie helfen uns und unserem Gegenüber, uns neu zu entdecken.
Gute Fragen zur Exploration zielen in einem ersten Schritt auf das Verständnis des Problems, das ihr lösen wollt. Beispiele:
- Was bewegt dich gerade? Was noch?
- Was ist hier die wirkliche Herausforderung für dich?
- Was willst du erreichen? Was würde eine gute Lösung ausmachen?
Auf dem Weg zur Lösung helfen tendenziell systemische Fragen. Also Fragen, die es uns ermöglichen, von außen auf unser System zu schauen, sei es mit den Augen einer anderen Person oder aus der Zukunft heraus. Die Wahrnehmung einer virtuellen Außenperspektive hilft besonders gut bei der Lösung von Denkblockaden. Beispiele:
- Was würde dir deine beste Freundin raten?
- Was würde ein Außenstehender über deine Beziehung zu deinem Kollegen sagen?
- Angenommen, du hättest dein Ziel erreicht,: Was wäre dann anders? Was wäre dann möglich?
Die Gestaltung der Lösung und die Entwicklung konkreter Maßnahmen kann schließlich durch Fragen wie diese fokussiert werden:
- Was tust du, was tun andere, wenn das Ziel erreicht ist?
- Was für Problemen gilt es dabei noch zu überwinden? Welche Alternativen hast du?
- Was wirst du jetzt genau machen? Was machst du ab morgen anderes?
Herz-Fragen sollten wir einsetzen, wenn das Problem unklar ist oder wir uns selbst oder unser Gegenüber zu neuen Perspektiven bringen wollen.
Powerkombination: Kopf und Herz
Richtig mächtig werden Kopf- und Herz-Fragen, wenn du sie kombinierst. Starte bei der Erkundung eines Problems mit zielorientierten Kopf-Fragen und gewinne gemeinsam mit deinem Gegenüber ein Gesamtbild der Situation. Wenn ihr verstanden habt, woher das Problem kommt, kannst du zu explorierende Herz-Fragen übergeben und dein Gegenüber dazu bringen, all ihre Potenziale zur Lösung des Problems zu aktivieren.
Ein gutes Beispiel dafür sind die 5 Fragen zur Abwehr von Rückdelegation, die du in diesem
Blogartikel findest. Mit den ersten beiden Fragen bringst du dein Gegenüber dazu, seine Situation zu reflektieren, während die übrigen 3 Fragen Richtung Exploration zeigen.
- Zielorientierte Kopf-Frage: Was ist das Problem? Was hast du bereits probiert?
- Explorierende Herz-Fragen: Was könntest du noch versuchen? Wen könntest du fragen? Was brauchst du von mir?
Gute „Was“- und böse „Warum“-Fragen
Zauberwort „Was“. Vielleicht ist es dir bei der Liste der explorierenden Herz-Fragen bereits aufgefallen: Das Zauberwort unter den entwickelnden Herz-Fragen ist „Was?“. Was-Fragen sind besonders offen und neutral. Sie lassen uns Raum für die Erkundung von Neuland und regen neue Verknüpfungen an.
Unwort „Warum“. Wo ein Zauberwort ist, ist das Unwort nicht fern: „Warum?“. Fragen, die mit ”Warum“ starten, nehmen wir als besonders fordernd und vorwurfsvoll wahr. Stell dir mal die folgenden Fragen und achte darauf, wie sich das anfühlt:
- Warum hast du den Plan noch nicht fertig gemacht?
- Warum hast du dich gerade dafür entschieden?
Merkst du, wie dich diese Fragen Richtung Rechtfertigung treiben? Warum-Fragen fühlen sich oft an wie eine kleine Kampfansage, sie bringen uns in die Defensive. Sie suchen tendenziell nach dem „Schuldigen“, statt in die Entwicklung einer positiven Alternative zu treiben. Nutze sie daher nur, wenn du wirklich die Motive deines Gegenübers verstehen willst.
Besser wird es, wenn du Warum-Fragen „auflöst“:
- Was hat dich daran gehindert, den Plan fertig zu stellen? Was brauchst du, damit es gelingt?
- Entlang welcher Kriterien hast du diese Entscheidung getroffen? Wie hast du sie entwickelt?
In 5 Schritten zu guten Fragen kommen
Mit diesem grundlegenden Handwerkszeug kannst du jetzt an die Entwicklung deiner eigenen Fragetechnik gehen. Baue dir sukzessive ein eigenes Set an Fragen auf. Das müssen gar nicht viele sein. In seinem Buch „The Coaching Habit“ zeigt Michael Bungay Stanier, dass bereits 7 Fragen reichen, um profunde Coaching- und Entwicklungsgespräche zu führen.
Um deine eigenen Fragetechnik zu trainieren, kannst du die folgenden 5 Schritte nutzen:
Schritt 1: Wähle ein Meeting aus, das du mit Fragen statt mit Antworten gestalten willst. Mach dir kurz Gedanken, was in diesem Meeting ansteht. Wollt ihr ein konkretes Problem lösen? Wollt ihr etwas Neues erarbeiten?
Schritt 2: Überlege dir zunächst eine Reihe von zielorientierten Kopf-Fragen, mit denen du die notwendigen Informationen sammelst und hinterfragst.
Schritt 3: Denke dir dann 3 explorierende Herz-Fragen aus, mit denen du eure Lösung auf das nächste Level bringst.
Schritt 4: Versuche, dich in dem Meeting wirklich nur auf das Zuhören und Fragen stellen zu konzentrieren. Enthalte dich aller Antworten und überlasse die Lösung dem Team. Idealerweise kommt ihr im Meeting auf ein ganz neues Diskussionslevel. Genieße es!
Schritt 5: Nimm dir nach dem Meeting die Zeit, diese Erfahrung sowohl rational als auch emotional zu reflektieren. Wie verändert sich die Dynamik im Team? Was macht das mit dir? Was wird möglich, wenn du künftig vor allem gute Fragen stellst?
Viel Erfolg beim Ausprobieren!
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Damit du dein Unternehmen und dein Team weiterhin mit all deiner Energie in den Höhenflug führen kannst!
Viel Spaß dabei
Dorothea
Volate – Fliegt!
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