Vertrauen ist machbar. Baue auf diese 6 Säulen

Veröffentlicht von Dorothea 17/07/2023

„Denke an zwei Menschen in deinem Team.
An einen, zu dem du tiefes Vertrauen hast, und an einen, zu dem du eine schwierige Beziehung hast.

Reflektiere deine Gefühle, deine Kommunikation und dein Verhalten gegenüber jedem von ihnen. Wie unterscheiden sie sich?“

Mit dieser Übung starte ich gerne die Diskussion zum Thema Vertrauen.

Und bekomme immer das gleiche Bild gespiegelt.

Menschen, denen wir vertrauen, trauen wir mehr zu. Wir geben ihnen gerne Verantwortung. Die Zusammenarbeit fühlt sich richtig gut an. Offen, entspannt und zielorientiert. 
Gemeinsam bekommen wir richtig viel gerockt.

Wenn es nur bei jedem so wäre!

Tut es aber nicht.

Sobald das Vertrauen leidet, wird es schwierig. Jede Interaktion ist anstrengend. Wir fühlen uns unsicher. Wir geben genaue Anweisungen, meiden den direkten Austausch. Und schwächen das Vertrauen immer weiter.
Ein echter Teufelskreis.

Ohne tiefes Vertrauen keine High Performance.

Die gute Nachricht: Vertrauen ist machbar.

Was Vertrauen im Detail ausmacht und wie du es gezielt aufbaust, ist der Fokus dieses Blogartikels.

Vertrauen ist Leadership Kompetenz Nr. 1

Wir alle wissen: Vertrauen ist essentiell für den Erfolg unserer Zusammenarbeit und die Verantwortungsübergabe (Mehr über den Zusammenhang von Vertrauen und High Performance findest du hier).

Wenn wir einander vertrauen, arbeiten wir besser, schneller und mit mehr Spaß. Der gezielte Vertrauensaufbau und -erhalt sind die Kernkompetenz von Leadern.

Leadership is not taken, it is given. People give leadership to those that they trust. They allow people that they trust to have influence over their lives.

Henry Cloud

Leider machen wir das selten bewusst. Wir erleben Vertrauen als etwas, das irgendwie entsteht, das aber auch ganz schnell wieder in sich zusammenbricht. 

Wie oft höre ich in meinen Sessions: „Ich habe kein Vertrauen mehr in X.“, „Y hat das Vertrauen gebrochen. Da ist nichts mehr zu holen.“

Fatalistisch und endgültig. Klassische Opferhaltung. Vertrauen passiert uns.

Die kalte Wasserprobe

Wir kennen oft nur einen einzigen Tipp zum Vertrauensaufbau: „Gib Vertrauen, dann bekommst du es auch zurück.“ Also geben wir unseren Kollegen einen Vertrauensvorschuss. Wir schmeißen sie ins kalte Wasser und schauen, was passiert. 

Schwimmen sie: Super, unser Vertrauen hat sich gelohnt. Gehen sie unter: Schade, das Vertrauen war wohl nicht gerechtfertigt. Hätte ich mir ja gleich denken können.

Diese Heuristik der Vertrauensbildung erinnert schon vom Namen her an eine grausame Foltermethode aus dem tiefsten Mittelalter. Die „kalte Wasserprobe“ wurde von Papst Eugen II. (824–827) eingeführt. Die mutmaßlichen Hexen wurden gefesselt und in einen See geworfen. Schwammen sie oben, hatten sie magische Kräfte. Gingen sie unter – Pech gehabt.

Genau das hat Alex, eine meiner Coachees erlebt. Nach einem langen, sorgfältigen Recruitingprozess hatte sie die perfekte Besetzung für das Influencer Marketing gefunden – ein Schlüsselbereich des Unternehmens. 

Sie wollte alles richtig machen und ließ Carl schnell die ersten Kampagnen machen. Allein.

Frei nach dem Motto: Vertrauen schafft Vertrauen.

Leider schwamm Carl nicht sofort. Die Kampagnen funktionierten nicht richtig, kosteten mehr, als sie brachten. Alex war tief verunsichert. Und machte immer detailliertere Vorgaben. Mikromanagement pur. 

Besser wurde es damit nicht. Im Gegenteil: Das gegenseitige Misstrauen wuchs, der Kollege verlor seine anfängliche Begeisterung.

Nach nur 2 Monaten war das Vertrauen gebrochen. Viele hätten jetzt die Schlussfolgerung der kalten Wasserprobe getroffen: Er schwimmt nicht, also fehlen wohl die magischen Kräfte. Raus mit ihm, Kündigung in der Probezeit.

Die Grafik unten veranschaulicht, was mit dem Vertrauen passiert, wenn wir und nicht die Zeit zum systematischen Aufbau nehmen. 

Werde zum Vertrauensgestalter!

Zum Glück blieb Alex an diesem Punkt nicht stehen. Mit dem verbliebenen Grundvertrauen starteten sie einen zweiten Anlauf.

Bei der nächsten Kampagne arbeiteten Alex und Carl Seite an Seite. Diskutierten alle Entscheidungen. Carl verstand immer besser, was Alex wichtig war. Und Alex war begeistert von seinen klugen Fragen und spannenden Ideen. Nach der ersten, gemeinsam realisierten Kampagne war das Vertrauen bereits signifikant gestiegen.

Bei der zweiten Kampagne waren Alex und der Neue schon etwas mutiger. Carl bekam ein kleines Budget, über das er frei entscheiden konnte. Das Ergebnis: Die Kampagne war so erfolgreich wie nie zuvor. Große Begeisterung! Und mit dem gemeinsamen Erfolg kehrte auch Motivation zurück.

Die dritten Kampagne übernahm Carl schließlich komplett. Das Vertrauen war wieder hergestellt. Und Alex spürt erstmals die Entlastung, die sich aus einer echten Verantwortungsübergabe ergibt.

Die nächste Grafik zeigt ihren Ansatz: Start mit einem guten Grundvertrauen. Dann erste gemeinsame Aufgaben, klein anfangen und mit dem wachsenden Vertrauen immer mehr Freiraum geben.

In diesem Prozess passierten zwei wesentliche Dinge:

  • Vertrauen wurde nicht als 1 oder 0 Entscheidung betrachtet, sondern als ein Prozess des gegenseitigen Kennenlernens. 
  • Es wurde gezielt an verschiedenen Säulen des Vertrauens gearbeitet. 

Die 6 Säulen des Vertrauens

Vertrauen entsteht auf der Basis von 6 Verhaltensweisen und Eigenschaften:

Verbindung. Ich fühle mich dir persönlich verbunden. Ich bin nicht nur ein Rädchen in der Maschine, sondern werde als Mensch wahrgenommen. Eine starke Verbindung kann leichte Risse in den anderen Säulen ausgleichen. Es ist die verzeihende Säule. Wenn sie schwächelt, werden auch die anderen Säulen mürbe.

Psychologische Sicherheit. Ich kann zwischenmenschliche Risiken ohne Angst vor negativen Konsequenzen eingehen: Kritik üben, Fehler machen, ausgefallene Ideen einbringen.

Aufrichtigkeit: Ich weiss, dass mein Gegenüber sagt, was er meint, und meint, was er sagt. Er ist konsistent und glaubwürdig in seinem Verhalten.

Verlässlichkeit: Mein Gegenüber hält Zusagen und Versprechen ein. Die Verantwortungsübergaben sind komplett und klar. Die jeweiligen Commitments auch. Jobs werden nicht einfach über den Zaun geworfen.

Kompetenz: Ich weiss, dass mein Gegenüber die Kompetenzen, Fähigkeiten, Ressourcen und Kapazitäten hat, die sie braucht, um zu leisten, was sie verspricht. Wenn sie etwas nicht kann, gibt sie direkt Bescheid. Zur Messung der Kompetenz gibt es klare Standards.

Bedeutung. Der Wert meines Beitrags wird gesehen, und auch ich erkenne den Wertbeitrag der anderen an. Wir begegnen uns auf Augenhöhe. Gemeinsam stellen wir sicher, dass unsere gegenseitigen Interessen gewahrt werden.

Tiefes Vertrauen entsteht, wenn alle sechs Säulen voll ausgebaut sind. Vertrauen wird instabil oder bricht, wenn einzelne oder mehrere Säulen einbrechen.

Ein Totalversagen ist zum Glück selten. Statt unserem Gegenüber also sofort das komplette Vertrauen zu entziehen, lohnt es sich, zu schauen, wo es eigentlich hakt. Und dann ganz gezielt an diesem Problem zu arbeiten.

Vertrauen ist machbar. Baue auf diese 6 Säulen: Verbindung, psychologische Sicherheit, Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit, Kompetenz und Bedeutung.

Dorothea von Wichert-Nick

Im Fall von Alex und Carl waren drei Säulen beschädigt:

  • Verbindung. Carl war noch neu, man kannte sich kaum. Das hat sich mit diesem Prozess geändert. Alex und Carl sind sich nicht nur inhaltlich, sondern auch persönlich näher gekommen.
  • Bedeutung. Anfangs wollte Carl seinen Wert mit eigenständigen Aktionen beweisen. An sich gut gemeint – aber die fehlende Absprache ging nach hinten los. Die Alleingänge gaben Alex das Gefühl, dass Carl ihre Vorschläge und Kommentare nicht ernst nahm. Und ihr Pushback gab dann Carl das Gefühl fehlender Wertschätzung. Ein Teufelskreis. Durch die gemeinsame Arbeit lernen beide Seiten ihren jeweiligen Wert erkennen und schätzen. Jetzt begegnen sie sich auf Augenhöhe.
  • Kompetenz. Carl hatte eine grundlegende Kompetenz im Influencer Marketing, war aber noch relativ neu im Geschäft. Die gemeinsamen Kampagnen halfen ihm, seine Kompetenz aufzubauen, und Alex, seiner Kompetenz zu vertrauen.

Die Reflektion der Vertrauenshebel erlaubte es Alex und Carl, das Vertrauen ganz bewusst wieder herzustellen. Für jede Säule entwickelten sie passende Restaurierungsmaßnahmen.

Ihr gemeinsames Learning: Vertrauen ist machbar. 

Wir können Vertrauen durch bewusste Führung aktiv gestalten, statt Opfer eines „Vertrauensbruches“ zu werden. Und werden damit Meister in der zentralen Aufgabe echter Leader: Im aktiven Management von Beziehungen.

Vertrauen herstellen in 3 Schritten

Sicher hast auch du Führungsbeziehungen, in denen das Vertrauen zumindest mal wackelig ist. Mit diesen 3 Schritten kannst du das Vertrauen wiederherstellen.

Schritt 1. Vertrauensbruch identifizieren. Reflektiere, welche der sechs Säulen des Vertrauens angeschlagen ist. Meist hakt es nur an ein oder zwei Stellen, der Rest ist eigentlich ok. Bewerte dazu jede der Säulen auf einer Skala von 1-sehr gering bis 5-super.

Überlege, was dir jeweils fehlt, und welche Maßnahme das Vertrauen wieder herstellen können. Reflektiere auch, welchen Anteil du selbst an der Vertrauenskrise hast. 

Hast du dich z.B. über ihn geärgert, diesen Ärger aber runtergeschluckt, und so getan, als wäre alles ok (fehlende Aufrichtigkeit)? Oder nimmst du dir nur wenig Zeit zum Kennenlernen (Verbindung)? Gibt du unklare Anweisungen und änderst ständig deine Anforderungen (Verlässlichkeit)? Habe ich alles schon erlebt.

Bereite auf Basis dieser Erkenntnisse ein Feedback vor. Orientiere dich gerne am SBI-D-Feedback-Format

Schritt 2. Feedback & Entwicklungsplan. Führe nun ein ausgiebiges Feedbackgespräch mit der oder dem Betroffenen. Mach deinem Gegenüber als erstes klar, dass dieses Gespräch von dem Wunsch getrieben ist, tiefes Vertrauen zu etablieren.

Nutze das Feedbackformat, um deine Beobachtungen zu teilen. Überlegt, wie ihr die wackeligen Säulen gemeinsam repariert. Es ist selten nur ein einseitiges Problem. Und macht euch dann einen gemeinsamen Entwicklungsplan. Fangt mit kleinen, wenig riskanten Schritten an und traut euch dann immer mehr zu.

Schritt 3. Umsetzung & Retrospektive. Setzt nun eure Überlegungen um. Macht spätestens alle 4 Wochen eine Retrospektive: Was haben wir bereits erreicht? Verbessert sich das Vertrauen? Wo gibt es noch Anpassungsbedarf?

Wenn alles gut läuft, geht es euch bald schon wie Alex und Carl:

Das Vertrauen ist wieder hergestellt und ihr erreicht in der Zusammenarbeit die Performance, von der ihr eigentlich träumt.

Key Take Aways

Vertrauen ist die Basis von High Performance. Bewusster Vertrauensaufbau ist die wichtigste Kompetenz eines Leaders. 

Vertrauensvorschuss und ins kalte Wasser werfen klingt gut, ist aber hochriskant. Startet lieber mit einem guten Grundvertrauen und baut das Vertrauen dann quer über alle sechs Säulen auf: Verbindung, psychologische Sicherheit, Aufrichtigkeit, Verlässlichkeit, Kompetenz und gegenseitige Bedeutung.

Und geht doch mal was schief, könnt ihr das Vertrauen mit drei Schritte wieder kitten:

  • “Vertrauensbruch” identifizieren: Welche der Säulen ist angeschlagen? Was ist dein Anteil daran? Was brauchst du zur Heilung?
  • Feedback & Entwicklungsplan. Gib deinem Gegenüber Feedback zu deiner Erfahrung. Höre dir an, wie er oder sie euer Vertrauen erlebt. Und entwickelt dann Ideen zum Vertrauensaufbau. 
  • Umsetzung & Retrospektive. Setzt euren Entwicklungsplan um und überprüft alle 4 Wochen in einer kleinen Retrospektive, wie sich das Vertrauen entwickelt.

Und nun zu Dir!

  • Wie sehr vertraust du deinen Kolleg:innen? Wie stabil sind die verschiedenen Säulen?
  • Hast du Vertrauensprobleme im Team? Welchen Impact hat das auf eure Performance?
  • Überlege dir für jeden Problemfall eine vertrauensbildende Maßnahme.

Viel Erfolg bei der Umsetzung!

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Photo by Nick Fewings (Unsplash)