Anatomie toxischer Gründerkonflikte

Veröffentlicht von Dorothea 12/01/2022

65% aller Startups scheitern aufgrund von Konflikten im Gründerteam.

Wow! Das ist echt viel! Zu viel!

Wenn ich diese Zahl lese, wird mir ganz schwindelig. Dann habe ich all die wunderbaren und motivierten Unternehmerteams vor Augen, mit denen ich arbeite.

Sollen tatsächlich 2/3 dieser Unternehmen scheitern, weil das Team seine Konflikte nicht lösen kann?

Im vergangenen Jahr habe ich zwei „Scheidungen“ begleitet. In beiden Fällen waren die tiefen Gräben nicht mehr überbrückbar. Die Trennung war das Beste für alle. Immerhin „nur“ zwei von dreißig.

Und jedes Mal frage ich mich:

  • Wie sieht eine gute Früherkennung aus? Was hätte dem Team gezeigt, dass sie in einen toxischen Konflikt rutschen?
  • Wie sieht eine gute Prophylaxe aus? Was hätte das Team tun können, um die Konflikte frühzeitig und produktiv zu lösen?

Wie in der Medizin gilt auch hier: Früherkennung braucht ein gutes Verständnis der Anatomie. Diese zu verstehen ist der Inhalt dieses Artikels. Im nächsten geht es dann um die Prophylaxe.

Was sind typische toxische Konflikte?

Toxische Konflikte entstehen aufgrund persönlicher Differenzen und mangelndem Vertrauen. Toxische Konflikte lösen nichts, sie verschärfen die Spannungen im Team. Sie kommen in 3 Varianten:

  • Schwarze Löcher sind das Fehlen von Konflikt. Es sind Themen, die aus übertriebener Harmoniebedürftigkeit so lange unter den Teppich gekehrt werden, bis sie explodieren. Mehr zu Schwarzen Löchern in diesem Artikel.
  • Rosenkriege sind Konflikte, die so sehr eskalieren, dass eine „vernünftige“ Zusammenarbeit unmöglich wird. Oft waren sie anfangs schwarze Löcher.
  • Dauerbrenner sind festgefahrene Konflikte mit vorhersehbaren Abläufen. Sie laufen immer nach dem gleichen Muster ab und kommen nie zur Auflösung.

Was sind ihre Ursachen?

Die Ursache toxischer Konflikte liegt in emotionalen Verhärtungen und Spannungen zwischen den Gründern. Aus der Begleitung von Gründerteams identifiziert Esther Perel drei Gruppen von Ursachen: Macht & Kontrolle, Respekt & Wertschätzung, Nähe & Verbindung.

Macht & Kontrolle:Immer deine Alleingänge.“ „Das ist meine Entscheidung!“ „Meine Prioritäten haben Vorrang.“. Kommentare wie diese weisen auf Kämpfe um Macht und Kontrolle hin. Ihre Themen: Geld, Status und Entscheidungsmacht. Besonders konfliktreich: Die CEO-Besetzung.

Respekt & Wertschätzung: „Du stellst dich immer in den Vordergrund.“ „Von dir kommt immer nur Kritik.“ „Ich mach hier die Arbeit und du gibst Interviews.“ Probleme mit Respekt und Wertschätzung führen dazu, dass sich die Partien nicht auf Augenhöhe fühlen. Als Retter, Opfer und Verfolger jagen sie sich gegenseitig.

Nähe & Verbindung: „Du bist nicht mehr wirklich dabei!“ „Ich fühle mich ausgeschlossen.“ Sätze wie diese weisen auf eine schwache Verbindung zwischen den Gründern hin – bis hin zur Ausgrenzung. Eine tiefe Verbindung ist besonders wichtig für das Entstehen von Vertrauen. Fehlt die Verbindung, schlagen anderen Konflikte noch viel schneller durch.

Was sind die kritischen Momente?

Konflikte können in allen Phasen des Lebenszyklus von Unternehmen entstehen. Und doch gibt es für jede Phase besondere Konfliktdynamiken, deren Verständnis euch bei der Vorsorge hilft.

Aufbruch

Viel Arbeit, wenig Geld, hohes Risiko. Mit einem kleinen, starken Team schuftet ihr Tag und Nacht und findet den richtigen Produkt-Markt-Fit. Durch die enge Zusammenarbeit entwickeln viele Gründerteams die Fähigkeit, sich ohne große Worte zu verstehen. In der Anfangsphase ist das unglaublich mächtig.

Im Aufbruch nehmt ihr eine erste pragmatische Aufgabenteilung vor und gebt euch Titel. Die Technikerin wird CTO, der Produkt- und Sales-Mensch wird CEO. Oder ihr startet als Co-CEOs und umgeht die Diskussion der Aufgabenteilung und des Status komplett. Ihr versteht euch ja so gut, dass ihr sowieso immer einer Meinung seid. Warum also die Aufgaben teilen? Was euch in diesem Moment noch nicht klar ist, sind die emotionalen Aspekte der Rollen. Das schlägt erst später durch.

Durchstarten

Ihr gewinnt die ersten Kunden. Der Vertrieb zieht an, großer Enthusiasmus. Es ist unglaublich viel zu tun, alle sind am Anschlag. Im Gründerteam seht ihr euch immer seltener. Jeder arbeitet auf seinen Baustellen, im eigenen Silo. Vor lauter Zeitdruck trefft seht ihr euch kaum mehr. Der Pflege des Gründerteams kommt in dieser Phase oft zu kurz. Ihr lebt euch auseinander. Das ist die Phase, in der die ersten schwarzen Löcher entstehen, die euer Team später auseinanderreißen können. 

Ein wichtiger Grund dafür ist das Gefühl, dass ihr euch auch ohne viele Worte versteht. Aber das scheint nur so. Durch das Arbeiten in den Silos habt ihr unterschiedliche Perspektiven auf euer Unternehmen. Ihr mögt die gleichen Worte benutzen – aber immer öfter meint ihr eigentlich unterschiedliche Dinge. Wenn ihr euch nicht die Zeit nehmt, euch detailliert abzustimmen, werdet ihr zunehmend aneinander vorbeireden. Und genau das passiert in vielen Teams.  

Turbulenzen

Das Wachstum überholt euch, nichts passt mehr. Die fehlenden Strukturen produzieren Reibungsverluste. Die Differenzen im Gründerteam werden jetzt offensichtlicher, die Konflikte heftiger. Jetzt schlagen auch die unterschiedlichen Gründermentalitäten durch.

Den „Entrepreneuren“ unter den Gründern geht es in dieser Phase oft zu langsam. Statt an der Organisation zu arbeiten, wollen sie lieber weitere Märkte und Produkte erschließen. Oft fangen sie alle möglichen Nebengeschäfte an, verlieren den Fokus.

Aber dafür ist nicht der richtige Zeitpunkt. Denn jetzt muss alle Energie auf den Aufbau der Organisation gelegt werden. Das aber ist das Metier der „Macher“ unter den Gründern. Die frustriert es zunehmend, dass ihr Gegenüber alle möglichen Feuer entzündet, während sie Tag und Nacht an der Stabilisierung der Company arbeiten.

In den Turbulenzen werden aus Schwarzen Löchern offenen Kämpfe: Wer ist wichtiger und entscheidet? Schnelles Wachstum oder nachhaltiger Aufbau? Was sind wirklich unsere Ziele?

Spätestens jetzt schlägt auch die CEO-Diskussion wieder auf. Wer hat das ganze Unternehmen im Blick, wer nur seinen Bereich? Wer ist am besten in der Lage, ihr Team und damit das Unternehmen zu skalieren? Sprich: Wer „verdient“ es, CEO zu sein, wer nicht?

In solchen Diskussionen entfernen sich viele Gründer voneinander. Und landen damit mitten in schweren toxischen Konflikten, die auf allen drei Konfliktursachen fußen: Es geht um Macht- und Kontrolle, der Respekt und die Wertschätzung gehen verloren, die Nähe zueinander allemal.

Das ist natürlich ein Worst Case Szenario. Ein Szenario, das nur eintritt, wenn ihr nicht frühzeitig in die Konfliktprävention investiert. Wie die aussehen kann, ist Thema des nächsten Blog Artikels.

Was heißt das für euch?

Die Autonomie der Konflikte hilft euch, eure Konflikte und potenzielle Konfliktherde frühzeitig zu identifizieren. Idealerweise zu einem Zeitpunkt, in denen die Emotionen noch nicht so hochschlagen. Denn dann könnt ihr sie noch selbst lösen.

Setzt euch also im Gründerteam zusammen und reflektiert:

  • Wie sehen heute eure Konflikte aus? Welche Muster lassen sich erkennen?
  • Wo steht ihr aktuell im Lebenszyklus? Welche Konfliktdynamiken erlebt ihr?
  • Welche Konflikte könnt ihr gut lösen, welche meidet ihr?
  • Welche Themen sprecht ihr nicht an, obwohl sie euch auf dem Herzen liegen?

Dieser Austausch wird euer Bewusstsein für euer Konfliktverhalten schärfen und ist damit die Basis für die Entwicklung eurer Konfliktprophylaxe. Mehr dazu im nächsten Blogartikel.

Viel Erfolg!

Volate – Fliegt!