Ich liebe Jazz. Wenn sich die Musik aus dem Samen einer kleinen Melodie am Anfang immer weiter entfaltet. Wenn ich vor lauter Groove meine Füße nicht mehr stillhalten kann.
Ich liebe die Kreativität des immer neuen Erfindens, der Improvisation und Weiterentwicklung. Das Zusammenspiel ganz unterschiedlicher Musiker, die auf Basis eines kleinen gemeinsamen Nenners großartige neue Stücke erschaffen.
Und ich glaube, dass wir in der Führung unglaublich viel vom Jazz lernen können. Denn Jazz Combos sind echte High Performance Teams. Aber was macht diese Teams aus? Wie kommen sie in den Groove? Und was ist die Rolle ihres Leaders?
So What
Du willst wissen, was echten Groove ausmacht? Dann hör dir mal „So What“ von Miles Davis an – ein geniales Stück, zu seiner Zeit revolutionär.
Und ein First Take. Vor der Aufnahme war dieses Stück noch nie gespielt worden. Nie. Es gab die Melodie von Miles. Mehr nicht. Alles andere ist spontane Entwicklung und Exploration.
So wie bei euch im Unternehmen. Auch ihr habt am Anfang nur eine Idee. Alles andere müsst ihr neu erfinden und auf dem Wege weiterentwickeln.
Und auch ihr habt in den meisten Fällen nur einen „First Take“. Der kann klappen, wenn alle gut aufeinander hören und sich aufeinander einlassen, oder er kann gnadenlos schiefgehen.
Die Jazz Combo
Jazz Combos sind das perfekte Beispiel von High Performance Teams: 3 bis maximal 8 Musiker. Wahrhaft divers, jedes Instrument ist nur einmal vertreten. Bei So What sind das die 6 Musiker Miles Davis (Trompete), John Coltrane (Tenor Sax), Cannonball Adderley (Alt Sax), Bill Evans (Klavier) und Jimmy Cobb (Drums).
Jeder Musiker hat seine ganz eigene Klanglichkeit, seinen eigenen Raum zur Improvisation. Aber er hat immer auch eine Verantwortung im Team. Eine klare Rollenaufteilung sorgt dafür, dass die Combo bei aller Improvisation nicht auseinanderfällt.
Die Melodieinstrumente führen in die Themen ein: Trompete, Saxofon, auch mal das Klavier. Dazu kommt die Rhythmusgruppe, die Drums, der Bass, die Bassgitarre. Und es gibt die Instrumente, die den Teppich der Akkorde legen: Klavier, Gitarre oder Vibraphone. Zusammen schaffen sie den Groove, auf dessen Basis improvisiert wird.
Ohne diese Basis landen wir im Free Jazz, der auch sehr spannend sein kann, aber uns in den meisten Fällen eher anstrengt, und der selten diesen unglaublichen Groove einer klassischen Jazz Formation entwickelt.
Der Groove
Jazz Combos improvisieren mit einer unglaublichen Freiheit. Produktiv wird diese Freiheit auf Basis einer minimalen, unverhandelbaren Struktur.
Diese definierte Minimalstruktur schafft den Groove: Melodie, Rhythmus und Akkorde.
Die Melodie
Die Melodie ist die Storyline. Sie wird am Anfang einmal durchgespielt und taucht dann immer wieder in Stücken oder Variationen auf. Der rote Faden, den jeder kennt und umspielt.
Eure Melodie ist eure Vision und Mission. Ein gutes Zusammenspiel ist nur möglich, wenn ihr eine gemeinsame Story habt, die jeder in jedem Detail versteht. Ohne eure gemeinsame Melodie fehlt euch die gemeinsame Sprache.
Der Rhythmus.
Während die Melodie in der Improvisation weiterentwickelt wird und immer neue Varianten zeigt, bleibt der zugrundeliegende Rhythmus konstant. Er taktet die zeitliche Abstimmung.
Euer Rhythmus ist eure Meeting Kadenz: Regelmäßige Treffen, klar durch eine Agenda strukturiert. Am besten habt ihr Weeklies, um die operativen Themen zu lösen und den Vorschritt zu prüfen. Halbtägige Monthlies, mit Zeit für die größeren strategischen Projekte. Quarterlies und Jahres-Meetings, in denen ihr eure Vision und Strategie weiterentwickelt.
Ohne diesen Rhythmus weiß bald keiner mehr wo die anderen stehen. Ich erlebe das in vielen Leadership Teams. Aus Zeitgründen wird auf einen festen Meeting Rhythmus verzichtet. In ad hoc Meetings wird das offensichtliche, dringende entschieden. Aber es fehlt der Raum für die weniger offensichtlichen Themen, das gemeinsame Verständnis. Und so entstehen in Teams ohne einen klaren Abstimmungsrhythmus immer mehr Missverständnisse.
Nur fehlt lediglich noch ein wesentliches Strukturelement:
Die Akkorde
Akkorde sind drei und mehr Töne, die zusammenklingen, es ist die harmonische Struktur hinter der Melodie. Das Wort stammt von dem lateinischen „accordare“ ab: In Übereinstimmung bringen, Übereinstimmung der Gefühle.
Und genau darum geht es! Hinter jeder Melodie liegen definierte Akkordfolgen. Jeder Jazzer kennt die Akkorde, die zu einer Melodie gehören und weiß welche Tonräume dazu gehören.
Mit diesem Verständnis der Harmonie können sie die aus ihrer Sicht passenden Töne frei wählen. Und damit die Magie der Improvisation schaffen: Jeder spielt frei, aber über den gemeinsamen Konsens der Akkordfolgen klingt es trotzdem immer richtig.
Die Akkorde der Führung sind die gemeinsamen Werte. Mit ihrer Definition schaffen wir die Basis für harmonisches Zusammenarbeiten im Team. Und wie im Jazz reicht es nicht, nur die eigentlichen Werte zu kennen, sondern wir müssen auch verstehen, welche Haltungen und Verhaltensweise zu diesen Werten passen. Das sind unsere Arbeitsprinzipien – die praktische Umsetzung der Werte.
Lead Sheet
Melodie, Rhythmus, Akkorde. Im Jazz wird diese Minimalstruktur in den sogenannten „Lead Sheets“ festgehalten. Eine Seite, die Melodie, der Takt, die Akkorde in vereinfachter Notation. Die Quintessenz des Grooves.
Es ist genau diese minimale, unverhandelbare Struktur, die großartige Improvisationen und Innovationen erlaubt. Aus dem Stand.
Das Lead Sheet der Teamführung ist die Team Charta. Ihr möchtet zu einem High Performance Team zusammenwachsen? Dann nehmt euch die Zeit, eure Minimalstruktur zu definieren. Überlegt euch, was eure Mission und Vision ist, in welchem Rhythmus ihr euch abstimmt und auf Basis welcher Werte und Arbeitsprinzipien ihr zusammenarbeiten. Schreibt sie auf und haltet euch dann an diese Struktur. Sklavisch.
Denn diese Minimalstruktur schafft einen klaren Rahmen für eure Zusammenarbeit. Und schafft damit neue Freiräume zur Improvisation.
Unter diesen Links findest du Templates für eure Team Charta (Deutsch / Englisch)
So What Live
Zurück zu So what. Hör dir jetzt noch einmal die Aufnahme an. Und denk daran, dass sie ein First Take ist. Die Minimalstruktur war klar, alles andere ist im Moment entstanden.
Sie startet ganz vorsichtig. Das Klavier lotet die Akkorde aus, das Schlagzeug und der Bass gesellen sich leise dazu. Erste Melodiefragmente liegen in der Luft. Dann setzt der Takt ein, kurze Zeit später folgt die Melodie. Immer mehr Musiker kommen ins Wechselspiel. Eine Phase der gemeinsamen Normierung. Jetzt sind alle im Groove. Und auf dieser sicheren gemeinsamen Basis löste sich das wunderbare Solo von Miles heraus…. einfach großartig.
Der Band Leader
Jazz Combos sind im Kern selbstorganisierende Teams. Aber was ist dann die Rolle des Band Leaders?
Zunächst einmal stellt der Band Leader das Team zusammen. Er sucht Musiker, die aus seiner Sicht optimal zusammenpassen. Miles Davis hatte die unglaubliche Gabe, herausragende jungen Talente zu finden. Selten griff er als alte Buddies zurück. Er suchte immer nach Menschen, die das Team nach vorne bringen, die den neuen Style verstehen. Es ist wirklich unglaublich, welche Jazz Heroen jeweils mit Miles Davis gestartet sind.
Wenn das Team steht, sorgt er für die richtigen Anregungen und Impulse. So What hatte eine ganz neue Akkordstruktur. Neuland für alle Musiker. Ein guter Band Leader ist immer auch ein Agent Provocateur. Er bringt sein Team dazu, alte Wege zu verlassen und neues zu probieren.
Zwar hat er auch ein Solo. Das erste Solo nach der gemeinsamen Intro. Damit zeigt er seinen Blick auf „So What“. Und dann überlässt er den anderen das Feld. Miles ist sogar so relaxed, dass er beim 2. Solo aus der Band heraustritt und erst mal eine raucht. Denn er weiß: Auf Basis der definierten Minimalstruktur kann sein Team jetzt großartiges schaffen. Auch ohne ihn.
Kommt in den Groove
Bringe dein Team in den Groove. Stellt ein diverses Team zusammen, in dem jeder seinen eigenen Beitrag hat und seine Rolle im Team kennt.
Definiert eure Minimalstrukturen und haltet sie in eurer Team Charta fest:
- Eure Mission und Vision
- Euren gemeinsamen Meetingrhythmus
- Eure Werte und Handlungsprinzipien.
Kommt dann Schritt für Schritt in den Groove. Und schafft damit den Raum, um über euch hinauszuwachsen.
Und genieße du als Band Leader die neue Freiheit. Denn wenn dein Team in den Groove gekommen ist, kannst du dir auch mal eine Auszeit nehmen.
Und nun zu dir
- Wie divers ist dein Team, haben alle klare Rollen?
- Was ist eure gemeinsame Mission und Vision? Kennt sie jeder?
- Was ist euer Rhythmus? Wie taktet ihr eure Zusammenarbeit?
- Was sind eure Werte und Arbeitsprinzipien?
- Bist du Manager oder ein echter Band Leader?
Viel Erfolg beim Ausprobieren!
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