Wie viele offene Stellen habt ihr gerade? Macht ihr euch auch schon Sorgen darüber, die nächsten Meilensteine nicht mehr zu schaffen, weil nicht genügend Menschen an Bord sind?
Da geht es euch wie vielen anderen auch. Der Personalmangel in Startups drückt zunehmend auf die Wachstumsbremse. Schon im August 2020 erklärten 68% der von Bitkom befragten Startups, sie hätten Probleme, geeignete Bewerber zu finden. Knapp 50% der Startups hatten offene Stellen.
Aktuell verschärft die Post-Corona-Kündigungswelle die Situation. Der Kampf um attraktive Kandidaten nimmt an Schärfe zu. Erst vor ein paar Tagen erzählte mir eine Recruiterin, dass Headhunter zum Teil schon Aufschläge angeboten bekommen, wenn sie gute Kandidatinnen früher und exklusiv vorschlagen.
What a Nightmare!
Und gleichzeitig wundert es mich nur begrenzt. Denn in vielen Teams wird das Recruiting noch immer nicht professionell betrieben. Zeit also für einen neuen Blick auf das Recruiting.
Entlang dieser 7 Thesen kannst du euer Recruiting neu aufstellen.
#1 Ohne Hiring kein Business. Mach Recruiting zu deiner Prio 1.
Eigentlich trivial: Wenn dir die richtigen Leute fehlen, dann kannst du keine gute Leistung liefern. Oder wie Marc Benioff, Gründer von Salesforce so schön sagt:
„Acquiring the right talent is the most important key to growth. Hiring was – and still is – the most important thing we do.“
Und die Engpassressource Nr. 1 ist immer auch gleich die Prio. 1 für dich als Gründer und CEO.
Wenn du es nicht bereits tust: Entwickelt eure Teamstrategie genauso sorgfältig wie eure Kundenstrategie.
Der Startpunkt dazu ist das Verständnis eurer Traumkollegen
#2 Verstehe deine Traumkollegen! Bringe die Richtigen ins Team.
Eure Traumkollegen sind die Kollegen, die euer Unternehmen aufgrund ihrer Arbeitsweise und ihrer Haltung am besten repräsentieren und mit denen ihr optimal aufgestellt seid, euer Wertversprechen an eure Traumkunden zu realisieren.
Setzt im Leadership- oder Gründerteam eine Session auf, in der ihr brainstormt, was eure Traumkollegen ausmacht. Sucht euch 3-4 Kollegen, die ihr als Traumkollegen wahrnehmt: Was sind ihre Eigenschaften, Werte, Verhaltensweisen, Umfeld? Entwickelt daraus die Persona eures Traumkollegen.
#3 Klarheit ist alles. Employee Value Proposition und Impact Profil.
Im nächsten Schritt erarbeitet ihr, welche Anforderungen eure Traumkollegen an die Zusammenarbeit mit euch haben und welche Bedürfnisse sie in ihrem Job realisieren wollen.
Wie sind die Bedürfnisse nach Verbindung, Sicherheit, Bedeutung, Sinnhaftigkeit der Arbeit, Meisterschaft und Autonomie bei euren Traumkollegen ausgeprägt? Wie wichtig sind ihnen diese Bedürfnisse? Wie müssen eure Jobexperience und eure Kultur aussehen, um diese Bedürfnisse zu erfüllen?
Unseren Traumkollegen bei etventure war es z.B. besonders wichtig, eine enge Beziehung miteinander zu haben und gleichzeitig mit hoher Autonomie zu arbeiten. Eine starke Fehlerkultur hat sichergestellt, dass die ausgeprägte Kreativität auch wirklich in innovative Ideen übersetzt werden konnte….
Verdichtet all diese Überlegungen zu eurer Employee Value Proposition: Jeder (Traumkollege) kann (das werden) in dem er (mit euch arbeitet), und damit (Folgendes lernt und erreicht).
Mit diesen Überlegungen seid ihr noch auf der Meta-Ebene unterwegs. Konkreter wird es mit den Impact-Profilen: Der Beschreibung der Rollen, die ihr konkret ausschreibt. Folgt bei der Rollenbeschreibung dem „WHY – WHAT – HOW“-Gedanken von Simon Sinek:
- WHY: Was ist die Mission dieser Rollen, was genau soll diese Rolle für das Unternehmen erreichen?
- WHAT: Welche konkreten Aufgaben übernimmt die Rolle, für welche Ergebnisse ist sie verantwortlich?
- HOW: Welche Kompetenzen und Mindset sollte der ideale Bewerber für diese Rolle mitbringen?
Aus den Inhalten der Value Proposition und dem Impact-Profil könnt ihr eine spannende Jobanzeige gestalten. Sprecht mit euren Traumkollegen in ihrer Sprache, nicht in der HR-Lingo. Challenged eure Kandidaten. Top-Leute wollen keine Arbeitgeber, die sich anbiedern.
Spätestens dann ist es Zeit, euren Recruiting-Prozess neu anschmeißen.
#4 Etabliere das Recruiting-Flywheel. Recruiting ist Vertrieb pur.
Betrachtet euer Recruiting als zweiten zentralen Vertriebsprozess, für den die gleichen Regeln gelten, wie für euren Kundenvertrieb.
Beim Nachdenken über den Vertrieb arbeite ich gerne mit dem Flywheel. Dieses Flywheel lässt sich ganz wunderbar auch auf den Recruitingprozess anwenden.
#5 Sei sexy und nahbar. Zieht eure Kandidaten ins Netz und aktiviert sie.
In der Attract-Phase könnt ihr weitergehend über die gleichen Kanäle kommunizieren, wie mit euren Kunden. Denn die Top-Kandidaten wollen euch vor allem als attraktives, spannendes Unternehmen erleben: Was ist eure Vision, welche Kunden bedient ihr, welche Innovationen kommen von euch, welchen Impact habt ihr.
Zu meinem Job bei Solon, einer damals frisch gegründeten Unternehmensberatung, kam ich über 3 Zeitungsartikel, die das Unternehmen in den unterschiedlichsten Facetten zeigten.
- Als Beratung, die mit menschlichem Format Top-Strategieprojekte machte (Genau das, was ich suchte!).
- Als Arbeitgeber, der was von Dual Career with Kids verstand (Super! Verständnis für meine Familienpläne!).
- Als Thought Leader in der Telekommunikation (Klasse! Hier kann ich genau auf meiner Expertise arbeiten!).
Keiner dieser Artikel war für das Recruiting gedacht. Eine Jobanzeige habe ich nie gesehen. Brauchte ich nach den Artikeln auch nicht mehr …
Seid in der Attract-Kommunikation sexy. Kommuniziert auf Augenhöhe und mit Herz: Zeigt euer Team, den Spirit im Unternehmen, eure Kultur und den Spaß, den ihr gemeinsam habt.
In der Engage-Phase heißt es dann näher rücken. Bietet Möglichkeiten, um in den direkten Kontakt mit euch zu treten. Sprecht attraktive Kandidaten direkt an. Seid auf Job-Portalen, Uni-Veranstaltungen und anderen offenen Events unterwegs. Macht euch so erlebbar wie möglich und baut längerfristige Beziehungen auf. Praktikanten- und Werkstudentenstellen sind immer wieder super dafür. Bei etventure z.B. gab es kaum einen Kandidaten, der nicht vorher schon intensiv mit etventure in Kontakt gestanden hätte. Nutzt auch euer Team als Ambassador.
Mit einem guten Engage-Prozess zieht ihr attraktive Kandidaten immer näher an euch heran. Irgendwann ist der Köder gefressen. Endlich könnt ihr einen begeisternden und überzeugenden Recruitingprozess starten.
#6 Challenger auf Augenhöhe. Herausfordern statt Bauchpinseln.
Ein überzeugender Recruitingprozess besteht aus 6 Schritten:
Telefoncheck. Kandidaten, deren CV grundsätzlich überzeugt, sollten in jedem Fall durch einen kurzen Telefoncheck laufen, der gerne von eurem Recruitingteam gemacht werden kann.
Kommt dabei möglichst schnell zu den Fragen, bleibt nicht lange im Social Chit Chat hängen. Bei Bedarf könnt ihr bei den Fragen zwischen deutsch und englisch wechseln. Damit habt ihr schon mal einen ersten Sprachcheck und Stresstest.
Gute Fragen für diese Phase sind:
- Erzähl mir etwas über dich selbst.
- Wie war es, bei [X] zu arbeiten?
- Woran würdest du am liebsten arbeiten?
- Worauf legst du bei der Wahl deiner nächsten Rolle am meisten Wert?
- Was möchtest du in deiner nächsten Rolle anders machen?
Lasst aber auch Zeit für die Fragen der Kandidaten.
Kulturfit-Interviews. Das erste richtige Interview sollte dem Kulturfit gewidmet sein. Zu diesem Zeitpunkt habt ihr euch noch nicht in die Kompetenz des Kandidaten verliebt und seid noch nicht befangen.
Entwickelt zu jedem eurer Unternehmenswerte eine Frage, deren Beantwortung zeigt, ob euer Kandidat diesen Wert auch wirklich lebt. Mögliche Fragen:
- Erzähl von einer Zeit, in der du mit jemandem zusammengearbeitet hast, der völlig anders war als du. Was machte die Unterschiede aus? Wie habt ihr die Vielfalt genutzt? (Diversität).
- Erzähl mit vom schlimmsten Fehler, der dir bei der Arbeit unterlaufen ist. Wie bist du damit umgegangen? Wie konntest du ihn lösen? (Kritikfähigkeit & Lösungsorientierung)
Kündigt bereits jetzt Referenzgespräche an und fragt auch mal aus Sicht der ehemaligen Arbeitgeber: Was würde deine ehemalige Chefin sagen, wenn wir sie das jetzt fragen?
Kompetenzcheck. Nach einem erfolgreichen Kulturfit geht es weiter. Kompetenz zeigt sich am besten in der Praxis, mit einer Case Study. Fragt auch nach den Top Learnings aus anderen Jobs.
Erklärt den Hintergrund und die Bedeutung der Case Study für die Rolle. Sagt, wonach ihr bei dem Case schaut. Lasst die Präsentation gerne auch vor erweiterter Runde halten. Baut kritische Nachfragen ein und schaut wie die Kandidatin reagiert.
Teamfit. Lasst den Kandidaten auf jeden Fall einen Teil des Teams treffen. Stellt dazu eine Gruppe aus Teammitgliedern mit unterschiedlichen Hintergründen zusammen. Arrangiert eine offene, entspannte Runde, z.B. einen Lunchtermin. Lass das Gespräch frei fließen und beobachtet, wie der Kandidat mit dieser Runde interagiert:
- Wie interagiert der Kandidat mit dem Team? Bleibt er auf Augenhöhe?
- Ist die Kandidatin neugierig, stellt sie gute Fragen?
- Wie spricht sie in dieser Runde über ihre bisherigen Jobs?
Sprecht nach dem Lunch mit dem Kandidaten über seine Erfahrung. Wie lässt er sich über das Team aus? Und holt natürlich auch das Feedback des Teams ein.
Referenzen. Überprüft bei erfahrenen Kandidaten in jedem Fall die Referenzen. Führt die Gespräche selbst durch, delegiert sie nicht! Holt für Führungsrollen idealerweise 4-6 Referenzen ein: ehemalige Chefs, Peers und Mitarbeiter.
Und das sind gute Fragen für Referenzgespräche:
- Was sind die Stärken und Schwächen der Kandidatin?
- Warum hat die Kandidatin ihr Unternehmen verlassen?
- Lassen Sie mich etwas über die Rolle und unsere Kultur erzählen … Wie gut passt die Kandidatin ihrer Ansicht nach?
- Was sollte ich beim Management des Kandidaten beachten? Was hilft ihm, produktiv zu sein?
Stellt die Fragen so, dass ihr eure Thesen zu diesem Kandidaten überprüfen könnt.
Letzte Runde. Wenn alles passt, kommt ihr zum letzten Schritt – den du am besten selbst übernimmst. Die Chance für den finalen Kulturfit und für den Kandidaten die letzte Chance, Fragen zu stellen.
In diesem Gespräch könnt ihr schon in Richtung eines möglichen Onboardings arbeiten. Geht gemeinsam das Impact-Profil durch. Lass dir Anregungen zur Entwicklung der Rolle geben. Überlegt gemeinsam, wie ein erster Monat aussehen könnte. Was würde die Kandidatin machen, wenn sie morgen startet? Diskutiert die Ziele für den ersten Monat.
Runde das Gespräch schließlich mit einer Powerfrage ab. Meine Lieblingsfrage: Was ist dein USP? Basierend auf all dem, was du jetzt über uns weißt: Wie ergänzt du unser Team?
#7 Entschlossene Zusage, gepflegte Absage. Der letzte Kick.
Entschlossene Zusage. Idealerweise gibt es jetzt eine Zusage. Mit einer schnellen Zusage zeigt ihr, dass ihr als Unternehmen entscheidungsstark seid und den neuen Kollegen wirklich sehr schätzt.
Ich habe vor Jahren mal mit BCG recruitet. Nach Abschluss des Recruitingtages baten sie mich noch kurz auf die Verabschiedung durch die Recruiterin zu warten. Nach 10 min Wartezeit die Hammerüberraschung: Es kam nicht nur die Recruiterin – sie hatte auch schon den unterschriebenen Vertrag in der Hand. Das hat mich echt umgehauen! (Hat dann aber auch nichts geholfen – die Employer Value Proposition von Solon war einfach besser und glaubwürdiger 😉 )
Das ist natürlich das Ideal. Leider aber nicht der Normalfall.
Gepflegte Absage. Oft genug werdet ihr feststellen, dass es doch nicht passt. Zeit für eine zeitnahe und wertschätzende Absage. In jedem Fall persönlich. Wenn Ihr absagt: Nehmt euch die Zeit, eure Absage zu erläutern. Was genau hat nicht gepasst? Wo könnte der Kandidat aus eurer Perspektive eventuell besser passen? Erwartet keine Begeisterung für eure Ehrlichkeit. Jedenfalls nicht sofort. Euer Kandidat hat das Recht, durch ein Trauerphase zu gehen.
Eine tolle Idee ist es schließlich, Absagen mit einem kleinen Dankeschön für den guten Prozess zu einem besonderen Moment zu machen, wie es z.B. Red Bull mit seinem „Reiseproviant“ macht. Denn wer weiss, wann man sich wieder trifft…
Mit einem starken Prozess habt ihr super Kandidaten gewonnen. Jetzt gilt es, sie gut ins Unternehmen zu integrieren, zu entwickeln und langfristig zu halten.
Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden…
Viel Erfolg beim Ausprobieren!
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Damit du dein Unternehmen und dein Team weiterhin mit all deiner Energie in den Höhenflug führen kannst!
Viel Spaß dabei
Dorothea
Volate – Fliegt!
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